Van Agt: „Helmut Schmidt war Pragmatiker und Visionär“

Van Agt: „Helmut Schmidt war Pragmatiker und Visionär“
Der niederländische Generalkonsul Freddy Heinzel (links) dankt Dries van Agt für seinen Besuch beim Niederländisch-Deutschen Businessclub Kleve.

„Wegbereiter Europas unter sich: Dries van Agt über Helmut Schmidt“, lautete die Überschrift einer Veranstaltung des Niederländisch-Deutschen Businessclubs, bei der am vergangenen Montag der frühere Ministerpräsident der Niederlande (1977-1982) über die politische und persönliche Zusammenarbeit der beiden Staatenlenker referierte.

„Unser erstes Treffen fand in Kleve statt, es sollte der Beginn einer langjährigen Freundschaft sein“, erzählte Van Agt (85). Der Ende 2015 verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt war am 1. Dezember 1978 in Kleve, um Dries van Agt kennenzulernen, der damals noch kein Jahr im Amt war. Die Zusammenkunft des niederländischen Christdemokraten und des deutschen Sozialdemokraten diente damals der Vorbereitung der Brüsseler Sitzung des Europäischen Ministerrats.

Dries van Agt bei seiner Rede.
Dries van Agt bei seiner Rede.

Der offiziellen Begegnung in Kleve sollten in den Jahren danach noch viele private im Hause Van Agts im benachbarten Nimwegen folgen. „Während dieser abendlichen Gespräche, bei denen wir so manches Fläschchen geleert haben, zog Schmidt regelmäßig über Zeitgenossen in der Politik her“, so Van Agt. „So machte er keinen Hehl daraus, was er von Politikerkollegen wie Helmut Kohl oder Margaret Thatcher hielt.“ Aber es sei natürlich vorrangig um die brennenden Fragen der Zeit gegangen, um den Nato-Doppelbeschluss etwa, um die Massendemonstrationen gegen Atomenergie oder die schwierige Rolle Nachkriegs-Deutschlands in der UNO.

An einem jener Abende „mit viel Whiskey und Schnaps“ habe Schmidt ihm eine deftige Lektion erteilt, so Van Agt. Der Bundeskanzler habe ihm in Worten, die deutlicher nicht hätten sein können, erklärt, dass sich die Niederlande in der Frage der Stationierung amerikanischer Marschflugkörper in Westeuropa „ja nicht hinter unserem breiten Rücken verstecken“ sollten (Schmidt), nur um sich dann in der ganzen Welt für ihre hohen moralischen Ansprüche feiern zu lassen, weil sie die Stationierung vehement ablehnten. „Diese offenen Worte meines Freundes haben damals ihre Wirkung nicht verfehlt“, erzählte Van Agt. „Mit einer kleinen Mehrheit habe ich damals das niederländische Parlament davon abhalten können, den NATO-Doppelbeschluss abzulehnen.“

Im späteren Verlauf seines Vortrags schilderte der Ex-Politiker auch, welch herausragende Rolle Helmut Schmidt bei den regelmäßigen Treffen ehemaliger Regierungschefs, den InterAction Councils, spielte. Dort habe dieser beharrlich auf die katastrophalen Folgen der Überbevölkerung aufmerksam gemacht, seine Sorge um die Umwelt geäußert, das Aufkommen der weltweiten Ambitionen Chinas vorhergesagt und vor einer Überheblichkeit gegenüber der damaligen Sowjetunion gewarnt. Und er habe die „United Nations Declaration on Human Responsabilities“ mit initiiert, die Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten. Denn Schmidt, so Van Agt, „dachte wie kein anderer über die Verantwortung der Menschen für unsere Erde und für die Bildung jedes einzelnen Kindes nach. Helmut Schmidt war nicht nur Pragmatiker. Er war ein Visionär.“

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