Bei den Deutsch-Niederländischen Regierungskonsultationen, die am Mittwoch in Berlin stattfanden, haben beide Seiten ihre intensive Zusammenarbeit bekräftigt. „Aufbauend auf der engen Freundschaft zwischen unseren Bürgern und im Geiste der immer engeren Zusammenarbeit zwischen unseren Regierungen konzentrierten sich unsere dritten Regierungskonsultationen auf die Entwicklung von Lösungsansätzen für die Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen“, hieß es im Anschluss seitens der Bundesregierung. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte nahmen an den Regierungskonsultationen teil, die nach der Premiere in Kleve (2013) und dem Gastspiel im niederländischen Eindhoven (2016) zum dritten Mal stattfanden.
Die Erklärung der Bundesregierung im Wortlaut:
Ein starkes und einiges Europa – für eine Zukunft in Frieden und Wohlstand
Deutschland und die Niederlande streben die Stärkung der Europäischen Union als internationalem Akteur an, wollen die Handlungsfähigkeit der EU stärken und den sozialen Zusammenhalt ihrer Bürger vertiefen. In der Strategischen Agenda der Europäischen Union sind unsere prioritären Ziele für die nächsten fünf Jahre niedergelegt. Gemeinsam wollen wir ihre ehrgeizige Umsetzung in Angriff nehmen.
Wir unterstützen die Bemühungen des finnischen Vorsitzes um eine Einigung über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen noch in diesem Jahr. Unsere beiden Regierungen streben einen modernisierten und ausgewogenen EU-Haushalt an. Europa muss gestärkt werden, damit es die aktuellen gemeinsamen Herausforderungen und Prioritäten bewältigen, aber auch Zukunftsfragen angehen kann, insbesondere in Bereichen, in denen wir unter veränderten weltweiten Bedingungen gemeinsame Antworten geben müssen. Gleichzeitig muss der Haushalt auf einer gerechten Lastenteilung gründen und den Brexit einkalkulieren. Wir werden die Verhandlungen auf der Grundlage von 1 % des Bruttonationaleinkommens der EU-27 führen und uns für effizientere Bedingungen und Anreize starkmachen.
Die Niederlande und Deutschland werden ihre Zusammenarbeit zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, zur Wiederherstellung der ordnungsgemäßen Funktionsweise des Schengen-Raums und zur Erhöhung der Zahl der Rückkehrer vertiefen. Um dies zu erreichen, werden wir gemeinsam daran arbeiten, klare Regeln und Rechte zu definieren, die ein stabiles und krisensicheres System gewährleisten. Mit Blick auf die Sekundärmigration haben wir eine Verwaltungsvereinbarung nach Artikel 36 der Dublin III-Verordnung vereinbart, die beschleunigte und vermehrte Überstellungen von Asylbewerbern in die zuständigen Mitgliedstaaten ermöglicht.
Die Niederlande und Deutschland betrachten es als vordringlich, ihre wirtschaftliche Basis zu stärken. Wir sind entschlossen, eng zusammenzuarbeiten, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu verbessern und ihren künftigen Wohlstand zu sichern, indem wir in Forschungs- und Innovationsprojekte investieren. Unsere starke Partnerschaft bei Handel und Innovationen ist für unsere Volkswirtschaften von zentraler Bedeutung. Wir werden diese Zusammenarbeit in den Bereichen Energiewende, Industrie 4.0, Mobilität und Gesundheitsversorgung weiter verstärken.
Die Europäische Union ist durch eine Politik der offenen Märkte und intensive Zusammenarbeit zu einer der wohlhabendsten, wettbewerbsfähigsten und innovativsten Regionen der Welt geworden. In Anbetracht neuer Herausforderungen wollen wir dafür sorgen, dass langfristige Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiges Wachstum Kernthemen auf der Tagesordnung der nächsten Europäischen Kommission sind. Dies erfordert Verbesserungen bei den Funktionsweisen des Binnenmarkts, eine zielorientierte Innovations- sowie eine Industrie- und Digitalpolitik, die der EU ermöglichen, eine Vorreiterrolle zu spielen. Als vordringliches Ziel für die zukünftige Entwicklung des Binnenmarkts haben Deutschland und die Niederlande gemeinsam mit Frankreich eine Initiative auf den Weg gebracht, um Vorschläge für weitere Fortschritte auf dem Weg zur Kapitalmarktunion zu machen („NextCMU“).
Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu fördern, ist für uns ein wichtiges Ziel. Wir unterstützen deshalb die jüngsten Vorschläge der Kommission zur Stärkung der diesbezüglichen EU-Instrumente. Ferner unterstützen wir gemeinsam die Bemühungen um die Einrichtung regelmäßiger gegenseitiger Begutachtungen („Peer Reviews“) zum Thema Rechtsstaatlichkeit als Instrument eines konstruktiven und integrativen Dialogs zwischen den Mitgliedstaaten.
Deutschland und die Niederlande bekräftigen ihr Bekenntnis zur regelbasierten internationalen Ordnung, zum Multilateralismus, zu offenen Märkten und verantwortungsvollem Unternehmensverhalten sowie zu einer ehrgeizigen EU-Handelspolitik. Wir treten weiterhin entschieden für die Modernisierung der multilateralen Handelsordnung mit der WTO in ihrem Zentrum ein. Wir unterstreichen die Notwendigkeit einer ehrgeizigen bilateralen Handelsagenda, insbesondere im Hinblick auf die asiatisch-pazifische Region und Lateinamerika. Außerdem unterstützen wir die Bemühungen um eine bessere Gewährleistung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten.
Wir messen den starken transatlantischen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten große Bedeutung bei und werden im Zusammenwirken mit der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin aktiv dazu beitragen, sie weiter zu stärken.
Das Vereinigte Königreich wird auch nach seinem Austritt aus der Europäischen Union ein wesentlicher strategischer Partner bleiben. Wir treten für einen geordneten Brexit ein und sind der Überzeugung, dass das ausgehandelte Austrittsabkommen und die Politische Erklärung die beste Grundlage für enge zukünftige Beziehungen darstellen.
Sicherheit und Verteidigung – gemeinsam für Freiheit und Sicherheit eintreten
Deutschland und die Niederlande erkennen an, dass sich unser Sicherheitsumfeld verändert hat und komplexer geworden ist. In Anbetracht dessen ist es von herausragender Bedeutung, dass wir die Werte verteidigen, für die wir stehen, darunter die regelbasierte Weltordnung mit den Vereinten Nationen in ihrem Zentrum. Die Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) bleibt der Grundpfeiler unserer kollektiven Sicherheit und Verteidigung. Wir arbeiten eng in Operationen wie „Resolute Support“ in Afghanistan, in der verstärkten Vornepräsenz („enhanced Forward Presence“, eFP), der NATO-Speerspitze („Very High Readiness Joint Task Force“, VJTF), dem Rahmennationenkonzept („Framework Nation Concept“) und zukünftig in der NATO-Initiative zur Reaktionsfähigkeit („NATO Readiness Initiative“) zusammen.
Die Niederlande und Deutschland sind bestrebt, die Wirksamkeit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union weiterzuentwickeln und zu stärken. Unsere Länder bekennen sich zur kohärenten Umsetzung von Verteidigungsinitiativen wie der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO), dem Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) und dem Koordinierten Jahresbericht zur Verteidigung (CARD). Wir streben eine enge Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb der EU im Rahmen der Beteiligung von Drittstaaten an der PESCO an.
Wir bekennen uns zur Fortführung unserer Stabilisierungsbemühungen im Rahmen der Mission „Resolute Support“ in Afghanistan, des Kampfes gegen den IS und der Stabilisierungsbemühungen in der Sahel Region, auch durch Unterstützung der Partnerschaft für Stabilität und Sicherheit im Sahelgebiet. Außerdem unterstützen wir den Kampf gegen den Terrorismus.
Wir werden unseren Austausch und unsere Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, insbesondere im Hinblick auf in die Niederlande und nach Deutschland zurückkehrende IS-Kämpfer intensivieren und dabei alle Aspekte der Deradikalisierung berücksichtigen.
Wir sind entschlossen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme sowie von Kleinwaffen und leichten Kriegswaffen zu bekämpfen. Wir setzen uns für die Stärkung internationaler Nichtverbreitungs- und Rüstungskontrollregime ein.
Die von unseren Verteidigungsministern am 21. Mai 2019 unterzeichnete Absichtserklärung geht auf neue Herausforderungen im Sicherheitsbereich ein und gibt Impulse für die weitere Zusammenarbeit. Wir heben die enge deutsch-niederländische Verteidigungszusammenarbeit hervor, die im Deutsch-Niederländischen Korps und, wie in der Absichtserklärung skizziert, im Bereich Digitalisierung sowie im Cyber- und Informatikbereich beispielhaft zum Ausdruck kommt. Zudem unterstreicht die bei diesen dritten Regierungskonsultationen von den Verteidigungsministern unterzeichnete Vereinbarung über Rüstungszusammenarbeit unsere einzigartige Kooperation auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens.
Klima, Umwelt und Energie – die Welt für künftige Generationen nachhaltig gestalten
Deutschland und die Niederlande bekräftigen ihre im Juni 2019 beim Europäischen Rat übernommene Verpflichtung, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. In diesem Sinne bekräftigen wir, dass wir an der gemeinsamen Stärkung des Klimaschutzes festhalten und unsere enge bilaterale Zusammenarbeit fortführen, wie dies bereits durch die Sitzung des deutsch niederländischen Klimakabinetts am 22. August 2019 zum Ausdruck kam.
Zur Verbesserung des globalen Klimaschutzes und zur Verstärkung der durch den UN-Klimagipfel geschaffenen Dynamik bündeln wir unsere Anstrengungen in der Klimadiplomatie. Deutschland und die Niederlande sind bestrebt, ihre außergewöhnliche Zusammenarbeit im Rahmen der Partnerschaft zur Umsetzung der nationalen Klimabeiträge (NDCs) und der Globalen Anpassungskommission fortzuführen. Darüber hinaus werden wir unsere Zusammenarbeit auf bilateraler und regionaler Ebene verstärken, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung von Offshore-Windenergieprojekten, die potenzielle Rolle von Wasserstoff – insbesondere von grünem Wasserstoff – und die Sicherstellung der Energieversorgung. Die Absichtserklärung über die Energiewende, die unsere Minister für Energie heute unterzeichnet haben, führt unsere gemeinsamen Zielsetzungen bei der bilateralen und regionalen Zusammenarbeit im Bereich Energie weiter aus.
Ein Übergang zur Klimaneutralität bis 2050 sollte von den Strategien und Maßnahmen flankiert werden, die die Europäische Kommission in naher Zukunft vorstellen wird. Wir werden die Arbeit an einem europäischen „Green Deal“ unterstützen, den die designierte Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, vorgeschlagen hat. Damit wollen wir einen wirkungsvollen Weg zum Schutz des Planeten und unserer gemeinsamen Umwelt einschlagen, die Chancen nutzen, die der ökologische Umbau bietet, sowie gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft sichern. Die Förderung zukunftsfähiger Mobilität und die Auslotung von Maßnahmen zur Verstärkung der Kreislaufwirtschaft sind in diesem Zusammenhang entscheidend.
Zur Umsetzung des Übereinkommens von Paris haben sich Deutschland und die Niederlande nationale Ziele für 2030 gesetzt, die zu den ehrgeizigsten in Europa zählen. Hierzu haben wir konkrete Strategien und Maßnahmen erarbeitet, die die einzelnen Regierungen kürzlich der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Bei diesen Maßnahmen, die im niederländischen Klimaabkommen und im deutschen Klimaschutzplan dargelegt sind, werden wir uns um die Erzielung möglicher Synergien bemühen.
Digitalisierung – Innovation, Sicherheit und den Schutz der Privatsphäre miteinander in Einklang bringen
Der rasche technologische Wandel bietet vielfältige Chancen, bringt aber auch Risiken mit sich. Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften und Forschungssektoren hängen langfristig von klar definierten und doch flexiblen regulatorischen Rahmenbedingungen ab, die Innovationen und dem nachhaltigen digitalen Wandel förderlich sind. Die Niederlande und Deutschland werden aktiv zur Entwicklung einer europäischen Strategie beitragen, welche auf der gegenwärtigen Strategie für einen digitalen Binnenmarkt aufbaut. Bei dieser Strategie wird es wesentlich darauf ankommen, die Führungsposition der EU bei der humanzentrierten Künstlichen Intelligenz sicherzustellen, was äußerst wichtig für die Führungsfähigkeit der EU im digitalen Bereich insgesamt wäre. Wir werden uns auf freiwillige Initiativen zum Datenaustausch und eine Wettbewerbspolitik für das digitale Zeitalter konzentrieren. Wir sind entschlossen, die digitale Kompetenz zu fördern, wissenschaftliche und technologiebezogene Fertigkeiten sowie die akademische Mobilität und eine nachhaltige europäische Digitalinfrastruktur als Voraussetzungen für Innovationsfähigkeit, insbesondere in Anbetracht der Entwicklungen bei der Künstlichen Intelligenz, zu stärken.
Deutschland und die Niederlande bekennen sich zur Schaffung eines europäischen Raumes für Gesundheitsdaten, in dem der freie Verkehr der Gesundheitsdaten ermöglicht und dabei die einschlägigen Grundsätze der Datensicherheit und des Datenschutzes eingehalten werden. Hierzu werden wir unseren bilateralen Dialog über elektronische Gesundheitsdienste (eHealth), die Nutzung von Gesundheitsdaten und neue Technologien wie Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen fortführen. Wir beabsichtigen, ein eHealth-Pilotprojekt in der Grenzregion zu unterstützen, um den Nutzen grenzüberschreitender elektronischer Gesundheitsdienste in enger Verbindung mit der Arbeit des europäischen eHealth-Netzwerks zu demonstrieren.
Die Niederlande und Deutschland erkennen an, dass die Herausforderungen der Cybersicherheit nur in gemeinsamer Anstrengung zu bewältigen sind. Wir werden unsere intensive Zusammenarbeit weiter vertiefen, um unsere beiderseitige Widerstandsfähigkeit zu stärken und Bedrohungen in diesem Bereich wirksam zu begegnen. Um die Desinformation zu bekämpfen, arbeiten wir gemeinsam mit Partnern an der Bewusstseinsbildung, der Verbesserung der Medienkompetenz und der Widerstandsfähigkeit von Medien und unserer Bürger.
Eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit für mehr Wohlstand und Sicherheit unserer Bürger
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist für einen funktionierenden Binnenmarkt und insbesondere für die Entwicklung der Grenzregionen von grundlegender Bedeutung. Deutschland und die Niederlande sind entschlossen, grenzbedingte Hemmnisse zum Nutzen der Bürger sowie öffentlicher und privater Organisationen in den Grenzregionen abzubauen. In diesem Zusammenhang werden wir die Möglichkeiten des neuen Benelux-Vertrags über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit für öffentliche Einrichtungen entlang der deutsch-niederländischen Grenze prüfen. Wir werden den Austausch junger Bürger fördern, um sprachliche und kulturelle Unterschiede zu überbrücken.
Wir sind entschlossen, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der niederländischen Polizei, insbesondere bei der Bekämpfung der organisierten Drogenkriminalität, durch eine Intensivierung des Informationsaustauschs und gemeinsame bilaterale Maßnahmen sowie durch eine engere Kooperation im Rahmen unserer Beteiligung an EU-Missionen weiterzuentwickeln.