Der deutsch-jüdische Arzt Felix Oestreicher und seine Frau, Germanistin Gerda Laqueur, fliehen im Jahr 1938 vor der Bedrohung des Nazi-Terrors mit ihren drei kleinen Töchtern aus dem tschechischen Karlsbad / Karlovy Vary in die Niederlande. Sie sind Teil weitläufiger deutsch-jüdischer Familien wie Oestreicher, Laqueur, Kisch und Löwenthal. Von alters her wohnen die Familienmitglieder im ganzen Habsburgerreich verstreut, siedeln sich jedoch auch in den Niederlanden an. Sie sind Weltbürger, die als Wissenschaftler, Unternehmer und Künstler im Leben stehen. Zu den bekannten Mitgliedern der Familie in den Niederlanden gehören die bildende Künstlerin Helly Oestreicher (*1936), Fotografin Maria Austria (*1915, ihre Tante) und Wissenschaftler Ernst Laqueur (*1880, ihr Großvater), Co-Entdecker von Testosteron und einer der Gründer des Unternehmens Organon.
Felix Oestreicher (1894-1945) hält die engen Familienbande durch regelmäßigen Briefkontakt aufrecht. Ab dem Jahr 1937 berichtet er darin über das Wohlbefinden seiner Töchter Beate (*1934) und den Zwillingen Helli und Maria (*1936). Er nennt seine 160 vorhandenen Briefe „Drillingsberichte“, da diese die Erziehung (das „Drillen“) und die Entwicklung seines „Drillings“ beschreiben. Aus den Berichten tritt ein sensibler Wahrnehmer mit einem Auge für die Charaktere der drei Mädchen hervor, die von der Außenwelt größtenteils abgeschnitten leben. Sie dürfen keine Schulen besuchen und kaum mit anderen Kindern spielen, erhalten jedoch eine sogenannte europäische deutsche Bildung von ihren Eltern. Auch während der Zeit der Unterdrückung werden sie mit Kenntnissen über Kultur und Wissenschaft ausgerüstet und sie entwickeln ihre Kreativität und Fantasie.
Die Eltern überleben die Aufenthalte im Konzentrationslager nicht. Ihre Kinder Beate (11) und Maria (9) kehren jedoch zurück und werden im Jahr 1945 mit der in den Niederlanden untergetauchten Helli (9) vereint. Die Mädchen besuchen das Gymnasium und werden biochemische Forscherin / Friedensaktivistin (Beate), Sozialpsychologin / Publizistin (Maria, später verheiratet mit dem Soziologen Joop Goudsblom) und bildende Künstlerin / Dozentin (Helly Oestreicher, später verheiratet mit dem Architekten Reynoud Groeneveld).
Im Rahmen des Programms „Making of the War“ führt Paul Sars am Forschungsinstitut Historical, Literary and Cultural Studies (HLCS) der Fakultät der Geisteswissenschaften ein Forschungsprojekt nach der Familie Oestreicher durch. Jorien Hollaar, Teilnehmerin des Studiengangs Niederlande-Deutschland-Studien, untersuchte in den letzten Monaten vor allem die „Drillingsberichte“, die sie über eine Website der Radboud Universität einem breiten und differenzierten Publikum zugänglich macht.
Eröffnung der Ausstellung
Anlässlich der Einweihung dieser neuen Website widmet die Universitätsbibliothek der Radboud Universität der Familie Oestreicher eine Ausstellung. Die Drillingsberichte bekommen dabei besondere Aufmerksamkeit. Die Ausstellung wurde von Jorien Hollaar und Paul Sars, in Zusammenarbeit mit der bildenden Künstlerin Helly Oestreicher und León Stapper (Universitätsbibliothek) organisiert. Neben Faksimiles und Büchern werden Kinderzeichnungen und Fotos der „Drillinge“ (erstellt von Maria Austria), sowie Textilkunst von u.a. Lisbeth Oestreicher gezeigt. Diese Materialien werden mit Genehmigung der Familie Oestreicher und dem Maria Austria Institut ausgestellt.
Die Eröffnung der Ausstellung findet am Donnerstag, den 1. Oktober um 16 Uhr im Ausstellungsraum der Universitätsbibliothek der Radboud Universität Nimwegen, Erasmuslaan 36 (erste Etage) statt.
Helly Oestreicher wird über die Erinnerungen an ihre Familie sprechen und Jorien Hollaar wird die von ihr erstellte Webseite präsentieren. Die Eröffnung wird daraufhin von Helly Oestreicher vorgenommen. Nach Ende des Programms gegen 17:00 Uhr wird es die Möglichkeit geben, die Ausstellung zu besichtigen und gemeinsam das Glas zu erheben.
Um Anmeldung per E-Mail wird gebeten: P.Sars@let.ru.nl
Weitere Informationen zum Programm: Drs. Léon Stapper (L.Stapper@ubn.ru.nl)
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt: Prof. Dr. Paul Sars (P.Sars@let.ru.nl).