…und was Sie dagegen tun können
Angenommen, Sie bekommen einen neuen niederländischen Kollegen. Obwohl Sie diese Person zum ersten Mal sehen, erwarten Sie, dass die Chemie zwischen ihnen aufgrund des gleichen Studienhintergrunds stimmt. Oder Sie werden zu einem deutsch-niederländischen Projektteam eingeladen und obwohl Sie Ihre neuen niederländischen Teamkollegen noch nicht kennen, gehen Sie von vornherein davon aus, dass die Einhaltung von Regeln und Abläufen ein schwieriges Unterfangen wird. Oder aber Sie freuen sich schon auf gut laufende Geschäfte mit Ihrem neuen niederländischen Geschäftspartner, denn „jeder weiß doch, dass Niederländer tüchtige Handelsleute sind“.
Unconscious Bias
Erkennen Sie solche Situationen? Und haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Ihre Erwartungen oft erfüllt werden? Dann sind vermutlich sogenannte “Unconscious Bias” im Spiel. Dieser Begriff, der momentan durch die interkulturelle Trainerwelt geistert, wird oft mit “unbewussten Vorurteilen”, “unbewusster Voreingenommenheit” oder “blinden Flecken“ übersetzt. Gemeint sind individuelle Präferenzen oder Meinungen, die wir selbst – zum Beispiel aufgrund von Erfahrungen – gebildet haben oder die durch den Einfluss unserer Umgebung entstanden sind, deren wir uns jedoch nicht bewusst sind.
Auch wenn es sich um individuell geprägte Vorurteile handelt, interessieren sich Unternehmen und Organisationen zunehmend für dieses Thema. Der Grund: Unbewusste Voreingenommenheit beeinflusst unsere Erwartungshaltung und damit die Art und Weise, wie wir mit Kollegen und Geschäftspartnern umgehen. Ist man also im Voraus der Meinung, dass der Kollege oder Geschäftspartner kein Gespür für eine gute Planung oder Humor hat, dann kann er sich noch so anstrengen, er bleibt in unseren Augen ein humorloser Chaot. Aber nicht nur das. Blinde Flecken beeinflussen auch unsere Entscheidungsfindung, etwa indem wir Situationen durch unsere Voreingenommenheit falsch interpretieren und somit fehlerhafte Schlussfolgerungen ziehen.
Die gute Nachricht: Wir haben alle unsere Voreingenommenheiten. Die schlechte Nachricht: Dagegen gibt es keine Medikamente. Wir können nur lernen, damit umzugehen. Das fängt mit einem besseren Verständnis für die Entstehung von Voreingenommenheit an.
Der Autopilot im Kopf
Unser Gehirn bildet zwei Prozent unseres Körpergewichts, verbraucht jedoch 20 Prozent unserer Körperenergie. Logisch, dass der Körper ein Ziel hat: Energie sparen. Das macht er, indem er einerseits unsere Wahrnehmung filtert und andererseits möglichst viele Automatismen entwickelt. Wenn Situationen sich häufig wiederholen, entstehen in unserem Gehirn Verknüpfungen, sogenannte „Synapsen“. Diese Synapsen machen Routinehandeln möglich – gar nicht schlecht in unserer oft komplexen Welt! Man kann es mit Autofahren vergleichen. Die ersten Fahrstunden waren mühsam: Gas, Bremse, Kupplung, Schalten … Übung macht allerdings den Meister und je öfter man fährt, desto weniger denkt man darüber nach – und desto mehr entwickelt sich die entsprechende Verknüpfung in unserem Kopf.
Der Vorteil liegt auf der Hand: Dank unserem Autopiloten im Kopf brauchen wir nicht mehr ständig zu überlegen, wie wir bestimmte Dinge interpretieren oder tun müssen. Gleichzeitig ist das auch der Nachteil: Diese Automatismen sind so tief in unserem Unterbewusstsein verborgen, dass blinde Flecken entstehen. Auch Erfahrungen aus der Vergangenheit und unsere Kultur spielen bei der Interpretation unserer Wahrnehmungen eine Rolle. Und das Verräterische an der Sache ist: Sie beeinflussen unser Handeln und unsere Erwartungen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
Nehmen wir ein deutsch-niederländisches Projektteam. Niemand bringt eine völlig neutrale Meinung mit, jeder hat durch Erfahrungen oder Berichte in den Medien eine vorgefertigte Meinung über “die Niederländer“ bzw. „die Deutschen”. Positive Erwartungen – der sogenannte “Halo-Effekt” – können einem Team Flügel verleihen, während negative Erwartungen – der sogenannte ‘Horns-Effekt’ – das Projekt noch vor dem Start beeinträchtigen können. Wenn solche Strömungen überhandnehmen, können eine Teamanalyse und Aufarbeitung sinnvoll sein.
Umgang mit unbewusster Voreingenommenheit
Auf individueller Ebene gibt es mehrere Möglichkeiten, besser mit Unconscious Bias umzugehen. Hier ein paar Tipps:
- Selbstkenntnis verbessern, zum Beispiel durch Selbstreflexion oder einen Test. Der Implicit Association Test ist zwar nicht unumstritten, kann jedoch ein erstes Indiz geben.
- An einem Workshop zu diesem Thema teilnehmen und gemeinsam mit anderen an diesem Thema arbeiten.
- Bewusst den Kontakt mit “dem anderen” suchen, um die Person hinter dem Vorurteil kennen zu lernen. Und vielleicht herauszufinden, dass man das gleiche Hobby hat!
- Die Wortwahl beachten. Oft sind wir uns gar nicht bewusst, wie viel wir in unserem alltäglichen Sprachgebrauch verallgemeinern – obwohl wir ganz genau wissen, dass es “den Niederländer” oder “den Deutschen” gar nicht gibt…
- Den Mund aufmachen, sobald man eine vorgefertigte Meinung hört. Wer schweigt, stimmt ja zu.
Unternehmen und Organisationen können im Rahmen ihrer Diversitätspolitik die Regeln für den Umgang miteinander erweitern – und natürlich darauf achten, dass sie eingehalten werden. Nicht selten spielt unbewusste Voreingenommenheit auch eine Rolle in Bewerbungsprozessen oder im Auswahlverfahren für die Zusammenstellung neuer Teams. Auch hier kann es sich lohnen, Prozesse unter die Lupe zu nehmen und wenn nötig zu ändern.
Mit seinen Filtern und Automatismen kann unser Gehirn uns in die Irre oder sogar zu falschen Entscheidungen führen. Die Kunst ist, sich dessen bewusst zu sein, gegenzusteuern und auf diese Weise ein wertschätzendes Umfeld zu schaffen.
Über die Autorin
Ingeborg Lindhoud lebt in Kleve und führt interkulturelle Trainings und interkulturelle Beratungen durch. Mit ihrer Kommunikationsagentur symphony communication ist sie auf interkulturelle Kommunikation zwischen deutschen und niederländischen Geschäftspartnern spezialisiert.