„Ich bin hier, um über viele unterschiedliche Fitnessthemen an einem Tag intensiv informiert zu werden”, sagt Studioleiterin Steffi Brüggemannskemper aus Sendenhorst. Zusammen mit rund 200 Interessenten nahm sie am 24. Februar am ersten Fitnesswissenschaftskongress an der IST-Hochschule teil. Zehn Millionen Deutsche und 2,7 Millionen Niederländer sind Mitglied im Fitnessstudio. Fitness ist erwachsen geworden und benötigt nun eine Betrachtung von wissenschaftlicher Seite.
Steffi hat eine Trainer A-Lizenz und sich durch viele unterschiedliche Ausbildungen weiterqualifiziert. Sie hat sich für das Thema Sportmedizin entschieden. Drei Wissenschaftler erzählen jeweils eine halbe Stunde über Adipositas im Kindesalter, Diabetes und Sport sowie Training und Immunsystem. „Fitnessstudios sind mittlerweile auch für schwere Kinder geöffnet. Die Geräte sollten jedoch für Kinder angepasst sein und es sollten gut qualifizierte Trainer dabei sein”, erzählt Prof. Dr. med. Christine Graf von der Deutschen Sporthochschule Köln. „Patienten mit Diabetes können durch exergaming (z.B. mit Xbox, die Red.) die Langzeitblutzuckerwerte signifikant verringern und auch Gewichtsabnahme erreichen”, sagt Prof. Dr. Christian Brinkmann von der IST-Hochschule für Management in Düsseldorf. Prof. Dr. med. Wilhelm Bloch, Institutsleiter Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln, sieht durchaus einen guten Markt für Fitnessstudios, wenn es um Patienten mit Erkrankungen wie Krebs, Diabetes oder Alzheimer geht. „Eine medizinische Kontrolle und gute Begleitung sind jedoch notwendig”, sagt Bloch. Zurück zu Steffi, die ein Zwischenfazit zieht: „In anderthalb Stunden habe ich viele wissenschaftliche Erkenntnisse erhalten, die relevant für den Alltag sind.”
Fitness für über 80-Jährige
„Es ist uns nicht egal, wie Menschen im Fitnessclub trainieren. Als IST-Hochschule beschäftigen wir uns seit Beginn mit Sportmedizin und haben eine besondere Verantwortung”, so Hochschulpräsidentin Dr. Katrin Gessner-Ulrich. „Es gibt zwar jede Menge Studien zu Krafttraining, Ausdauertraining und Konditionstraining, eine zusammenfassende Wissenschaft für die Fitness gab es jedoch bislang nicht. Angesehene Wissenschaftler stellen heute zum ersten Mal Fitness im Ganzen vor. Dieser Kongress bietet zudem die Möglichkeit für Austausch und Vernetzung.” IST-Geschäftsführer und Sportwissenschaftler Dr. Hans E. Ulrich sagt: „Fitness wird von Männer und Frauen mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren gemacht. Immer mehr ältere Menschen, bis über 80 Jahre, machen Fitness, um das Wohlbefinden zu erhöhen. Es ist wichtig, dass die Begleitung bei dieser Zielgruppe stimmt. Weiterbildung für Trainer ist also wichtig. Wir bieten zum Beispiel die Ausbildung zum Medical Fitnesscoach.” Eine kleine Umfrage unter Trainern bestätigt, was Ulrich behauptet. „Wir machen immer eine Anamnese und stellen danach ein individuelles Trainingsziel fest. Die meisten Menschen kommen wegen Rückenproblemen oder Adipositas auf uns zu. Wir brauchen dabei schon medizinische Kenntnisse sowie auch Kenntnisse über die richtige Ernährung.”
HIIT oder langsam?
Am Nachmittag geht es zum LernLoft auf dem Campusgelände, auf dem die IST-Hochschule einen Seminarraum mit Krafttrainingsgeräten ausgestattet hat. Drei Sportwissenschaftler – mit Sportschuhen bekleidet – sprechen hier über High Intensity Intervall Training (HIIT), Wearables und Langzeitausdauer. „Vier bis fünf Minuten intensives Training täglich am Arbeitsplatz, wobei die Herzfrequenz auf 70 bis 80 Prozent steigt, ist schon effektiv. HIIT ist aber nicht die pauschale Pille für alles. Es führt nicht zur Gewichtsabnahme, das geht nun einmal über den ‚intake’ von Essen”, sagt Prof. Dr. Billy Sperlich von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Dr. Christoph Zinner von der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung hat sich intensiv mit Wearables beschäftigt. Das sind elektronische Geräte, die u. A. Herzfrequenz und Energieumsatz messen. „Die Geräte, die man heutzutage am Handgelenk tragen kann, sind zuverlässig. Vor einigen Jahren war das noch nicht so.” Dr. Ralf Lindschulten begleitet u. A. Triathlon- und Marathonsportler. Er glaubt weniger an HIIT als sein Kollege: „Sie laufen schon langsam? Dann versuchen Sie, noch langsamer zu laufen”, lautet seine Botschaft an drei Viertel seiner Sportkunden.
„Muckibude“
Am späten Nachmittag hat Prof. Dr. Stephan Geisler ein volles Haus im Fitness-LernLoft. Er ist Initiator des ersten Fitnesswissenschaftskongresses und Vizepräsident sowie Professor an der IST-Hochschule für Management. Geisler ist seit mehr als 20 Jahren in der Sport- und Fitnessbranche tätig. Seit dem zwölften Lebensjahr ist er von Muskelmassen fasziniert, inspiriert durch Jean-Claude van Damme. Damals ist er in eine „Muckibude“ gegangen und hat einfach angefangen, zu trainieren. Jetzt gibt er praktische Hinweise: Um ein Muskelwachstum zu erreichen, sollte man jeden Muskel ein- bis zweimal pro Woche intensiv ausbelasten. Wahlweise wäre auch ein Ganzkörpertraining (dieses zwei- bis dreimal pro Woche) möglich. Insgesamt sollten es pro Muskel (bei Fortgeschrittenen) mindestens zehn Trainingssätze pro Woche sein, diese kann man aber auf die ganze Woche verteilen. Die Pausenzeit zwischen den Trainingssätzen beschreibt Geisler mit ein bis zwei Minuten.
Dr. Olaf Prieske von der Universität Potsdam hat einige neue Bewegungsempfehlungen für Erwachsene. 80 Prozent der Deutschen erfüllen das Mindestmaß an Bewegung nicht. In den Niederlanden gibt es dieselbe ‚Bewegingsrichtlijn’: 150 Minuten pro Woche aerobe körperliche Aktivität mit moderater Intensität und zusätzlich zweimal pro Woche muskelkräftige körperliche Aktivität. Dr. Axel J. Knicker von der Deutschen Sporthochschule Köln präsentiert am Ende des Kongresstages eine Untersuchung zum Thema Verletzungsrisiko. Ein einfacher Vergleich von Beinbeuger und Beinstrecker scheint hier nicht sinnvoll. Knicker empfiehlt vielmehr in Bezug zur konzentrischen Kraft des Beinstreckers die exzentrische Kraft des Beinbeugers zu trainieren.
Young Investigators Award
Für die teilnehmenden Nachwuchswissenschaftler gab es den Young Investigators Award. In Form einer Poster-Präsentation wurden mehrere Studien vorgestellt. Annika Griefhahn von der Sporthochschule Köln war Preisgewinnerin mit ihrer Masterstudie zum Thema „Einfluss einer vibrierenden Faszienrolle auf die Beweglichkeit im Rücken”.
Prof. Dr. Geisler zeigte sich am Ende glücklich: „Heute hat es viele Ideen und Diskussionen gegeben, sogar bis ins Detail. Wir haben alle Referenten aufgefordert, praktische Hinweise zu geben. Ich denke, der erste Fitnesswissenschaftskongress ist ein Erfolg, weil er die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis geschlagen hat.”
Dieser Artikel gibt eine Impression des ersten Fitnesswissenschaftskongresses wieder. Das ganze Programm umfasste 18 Beiträge, verteilt über zweimal neun parallel ablaufende Vorträge. Alle Referenten und das Programm finden Sie hier.
Einen möglichen Gewinn stiftet die IST-Hochschule für Management als Veranstalter des Kongresses einem wohltätigen Zweck: KidSmiling, Fußballtraining für sozial benachteiligte Kinder in Düsseldorf und Köln.
Über den Autor
Michiel Savelsbergh ist Geschäftsführer von Savelsbergh Kommunikation in Venlo. Er ist auf euregionales Marketing und Kommunikation zwischen Deutschland und den Niederlanden spezialisiert. www.savelsbergh-kommunikation.de