„Spielenderweise vergessen, dass man Reha-Übungen macht“

„Spielenderweise vergessen, dass man Reha-Übungen macht“
Das Cynteract-Team: Gernot Sümmermann (l.) und Manuel Wessely (r.) . Foto: Cynteract

Patienten in die Lage zu versetzen, ihre Rehabilitation unterhaltsamer und zugleich effizienter zu gestalten – das ist das Ziel, welches die Cynteract GmbH verfolgt. Das Aachener Startup, das von zwei RWTH-Studierenden gegründet wurde und von der landeseigenen NRW.BANK eine Eigenkapitalfinanzierung erhielt, hat einen „intelligenten Handschuh“ mit Sensoren entwickelt, den Patienten etwa nach einem Schlaganfall als Spielsteuerung in der Rehabilitation einsetzen können. Mit einer Auswahl von Computerspielen können diese in der Klinik oder daheim trainieren. „Patientinnen und Patienten profitieren von einer motivierenden und schnelleren Rehabilitation, Physiotherapeuten können den Fortschritt der Reha online begleiten, Kliniken können ihre Kapazität dank der Zeitersparnis erhöhen und die Krankenkassen freuen sich über geringere Ausgaben“, erläutert Geschäftsführer Gernot Sümmermann im Gespräch mit AHA24x7.com. Getestet habe Cynteract sein Produkt zunächst in Krankenhäusern in den Niederlanden, „in Deutschland zeigte man sich zunächst zurückhaltender gegenüber Gamification der Reha“. Ende vergangenen Jahres erhielten die Cynteract-Gründer Gernot Sümmermann und Manuel Wessely von der Bundesregierung für ihre innovative Idee die Auszeichnung als „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland“.

 

AHA24x7.com: Herr Sümmermann, was hat es mit dem Firmennamen Cynteract auf sich?

Gernot Sümmermann: Der Name kommt von Cyber Interaction, also der Interaktion mit dem Virtuellen. Ursprünglich sind wir damit gestartet, virtuelle Objekte fühlbar zu machen, zu ermöglichen, dass ich intuitiv mit der Maschine interagiere. In unserer Anfangszeit ist der Name entstanden, der, wie ich finde, auch heute noch gut passt.

 

„Entscheidender Punkt ist die Motivation der Patienten für das Training. Mit Hilfe von Gamification trainieren diese mit wachsendem Spaß und vergessen nahezu, dass sie sich im Grunde ja in einer Reha befinden. Darüber hinaus bieten wir den Therapeuten die Möglichkeit, den Fortschritt der Patienten während der Übungen zu verfolgen.“

 

AHA24x7.com: Sie studieren Maschinenbau, Ihr Freund und Cynteract-Co-Gründer Manuel Wessely Informatik. Eine heutzutage geradezu ideale Kombination für die Erfindung und Entwicklung neuer Technologien. Aber warum ausgerechnet eines medizinischen Hilfsmittels wie des Intelligenten Handschuhs?

Ein Handschuh von Cynteract
Ein „intelligenter Handschuh“ mit Sensoren von Cynteract. Foto: Cynteract

Gernot Sümmermann: Da muss ich ein wenig ausholen. Als wir uns vor etwa acht Jahren im Rahmen von „Jugend forscht“ mit dem Thema der Virtuellen Realität (VR) beschäftigten, haben wir für VR den Handschuh entwickelt. Das Ziel: virtuelle Objekte zu fühlen. Als dann ein Freund mit 15 Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte, sind wir in das Thema Rehabilitation quasi reingerutscht. Da dieser Freund nach zwei Jahren aufgehört hatte, seine Reha-Übungen zu machen, weil diese unter anderem aus Gummiball-Drücken bestanden, also zu Frustration führten und obendrein langweilig waren, kam uns die Idee, unseren Handschuh, der jedwede Fingerbewegung messen kann und auch Feedback zu geben in der Lage ist, für die Reha-Übungen einzusetzen und mit motivierenden Computerspielen zu verknüpfen. Im Prinzip geht es darum, dass ich spiele, während ich meine Reha-Übungen mache, mit dem Ziel, dass ich die Übungen vergesse und mich auf das Spiel konzentriere.

In der Folge haben wir dann an einer Reihe von medizinischen Veranstaltungen und Medizinmessen teilgenommen, haben gemerkt, dass Patienten motiviert sind und gerne mit dem Gerät arbeiten wollen. Therapeuten waren schnell der Auffassung, der Einsatz unseres Gerätes würde den Reha-Alltag erleichtern. Ärzte und Kliniken zeigten sich auch erfreut, weil es so was in diesem Bereich noch nicht gab.

AHA24x7.com: Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Gaming-Handschuh und Computerspiel?

Gernot Sümmermann: Das Medizinprodukt besteht aus zwei Teilen, dem Handschuh und der dazugehörigen Software. Der Handschuh in Kombination mit der Software unterstützt die Rehabilitation von Finger-, Hand- und Armerkrankungen/-verletzungen in Reha-Zentren und vor allem zu Hause. Weiterhin soll das Produkt dem Physiotherapeuten und dem behandelnden Arzt eine Zusammenfassung der Trainingsdaten liefern. Das Produkt ist für die Verwendung mit einem elektronischen Endgerät, z. B. einem Smartphone, Tablet oder Laptop, vorgesehen. Auf einem solchen Gerät werden Spiele dargestellt, die über die Finger-/Hand-/Armbewegungen oder Kräfte gesteuert werden. Auf diese Weise kann mit dem Handschuh ein beliebiger Charakter in einer virtuellen Welt gesteuert werden. Entscheidender Punkt ist die Motivation der Patienten für das Training. Mit Hilfe von Gamification trainieren diese mit wachsendem Spaß und vergessen nahezu, dass sie sich im Grunde ja in einer Reha befinden. Darüber hinaus bieten wir den Therapeuten die Möglichkeit, den Fortschritt der Patienten während der Übungen zu verfolgen. Uns ist wichtig, dass die Spiele trotz ihres leicht verständlichen Konzepts eine gewisse Herausforderung für erwachsene Nutzer darstellen. Wir entwickeln die Spiele so, dass sie auch uns selbst Spaß machen. Die tragbare Größe des Handschuhs ermöglicht es den Patienten, nicht nur im Krankenhaus, sondern auch dezentral, also zu Hause zu trainieren.

 

„Am Anfang sind wir in die Kliniken gegangen, haben mit Patienten in den Niederlanden Tests durchgeführt, weil man dort technologischen Neuerungen gegenüber doch etwas offener ist. Dort haben wir erforscht, wie der Einsatz von VR-Brillen bei den Patienten ankommt.“

 

AHA24x7.com: Eine gewisse Affinität zu Computerspielen ist für den Einsatz in der Rehabilitation wohl Voraussetzung, oder? Haben Sie bei der Entwicklung des Produkts ausschließlich junge Menschen im Auge gehabt?

Gernot Sümmermann: Wir haben durchaus auch Kunden, die schon über 70 sind. In dem Fall bekommen wir natürlich ein anderes Feedback als bei jungen Leuten. Am Anfang sind wir in die Kliniken gegangen, haben mit Patienten in den Niederlanden Tests durchgeführt, weil man dort technologischen Neuerungen gegenüber doch etwas offener ist. Dort haben wir erforscht, wie der Einsatz von VR-Brillen bei den Patienten ankommt. Und haben dann relativ schnell erfahren, gerade bei älteren Menschen, die im Leben noch kein Computerspiel ausprobiert haben, dass eine VR-Brille eine Hemmschwelle bildet. In dem Fall ist also die Verwendung einer VR-Brille ein Schritt zu weit. Also haben wir uns entschieden, erst einmal zweidimensional mit Spielen am Monitor anzufangen. Man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, möglicherweise auch Probleme mit den Augen haben, oftmals vielleicht sogar kognitive Schwierigkeiten haben.

Also haben wir den Inhalt der Spiele reduziert und an den Farben und Kontrasten gefeilt. Dem Feedback aus den klinischen Studien entsprechend bieten wir jetzt etwas, das allen Patienten Spaß bringt und motiviert. Inzwischen verfügen wir über einen guten Mix aus schnellen, anspruchsvollen und langsamen Spielen. Wir versuchen unsere Spiele, auch wenn sie sehr einfach anmuten, so zu gestalten, dass sie auch interessant sind zu spielen. Dementsprechend sind sie für jede Altersklasse geeignet. Das Schöne an Gamification ist ja, dass man vergisst, dass man sich gerade in einer Reha- Übung befindet. Man konzentriert sich nur noch auf das Spiel, will das Ziel des Spiels erreichen und nicht unbedingt gemäß der Reha-Übung etwa nur eine Orange auspressen…

AHA24x7.com: Hat sich Ihre Innovation auf dem deutschen Markt denn inzwischen etablieren können?

Gernot Sümmermann: Nun ja, das ist leichter gesagt als getan, bei Medizinprodukten dauert das seine Zeit bis zur Zulassung. Wir haben uns nach den ersten Erfahrungen und dem positiven Feedback gesagt, wenn der Markt unser Produkt möchte und es keine Konkurrenz gibt, warum bringen wir das Produkt dann nicht tatsächlich auf den Markt. 2020 haben wir die Zertifizierung als Medizinprodukt erfolgreich durchgeführt, aktuell befinden wir uns in der Phase der klinischen Studien, im nächsten Schritt geht es dann darum, in die Erstattung der gesetzlichen Krankenkassen zu kommen.

Übrigens wird der Handschuh momentan nicht ausschließlich in Deutschland gefertigt, obwohl wir viel Geld darauf verwenden, deutsche Unternehmen dafür zu gewinnen. Schade eigentlich. Die Elektronik, die in dem Handschuh verbaut ist, beziehen wir aus dem einzigen Land für Elektronikfertigung: China. Die Textilien kommen im Moment aus Fernost, weil wir dort deutlich schnellere Entwicklungszeiten hatten als bei Herstellern anderswo. Wir wollen die Herstellung allerdings gerne weiter zurück nach Deutschland bringen. Das sollte, weil das Produkt schließlich in Deutschland entwickelt wurde, letztendlich irgendwann auch gelingen… Mit dem Textilinstitut der RWTH Aachen haben wir erste Forschungen durchgeführt, um nächste Versionen noch weiter zu optimieren, damit der Handschuh so angenehm wie nur möglich zum Tragen ist. Das ist das, was unseren Handschuh schon jetzt auszeichnet: Du ziehst ihn an und kannst loslegen. Um ein Spiel innerhalb einer Reha-Übung zu starten, bedarf es nichts Aufwändiges.

Weitere Informationen: www.cynteract.com

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