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„Die Förderung euregionaler Kompetenzen soll Arbeitgebern die Unsicherheit nehmen“

Das Rijnland Instituut, ein Wissensinstitut für Regionalentwicklung mit Partnern in den nördlichen Niederlanden und Nordwestdeutschland, fördert insbesondere die Entwicklung, den Austausch und die Anwendung von Wissen durch und für die regionale Berufsbildung. Durch Bündelung der Kräfte der Berufsbildungseinrichtungen auf beiden Seiten der Grenze unterstützt dieses Netzwerk arbeitsmarktrelevante Bildung in der euregionalen Wissenswirtschaft und trägt so zum grenzüberschreitenden Leben, Arbeiten und Studieren bei. Große Bedeutung komme dabei der Förderung eines binationalen Curriculums sowie einem Regionen gebundenen Lernen und Arbeiten zu, erläutern im Gespräch mit AHA24x7.com Professor Dr. Wolfgang Arens-Fischer, Fakultät Management, Kultur und Technik der Hochschule Osnabrück, Katrin Dinkelborg, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Osnabrück sowie Annick Bakker von der NHL Stenden Hogeschool und Cigdem Zantingh-Akcelik, Mitglied der Institutsleitung und Programm-Managerin am Alfa-college.  

 

AHA24x7.com: Wir genießen das Prinzip der grenzenlosen Ansiedlung und Dienstleistungen innerhalb eines Vereinigten Europas nun schon seit Jahrzehnten, an (Fach-)Hochschulen hat sich der Bachelor längst in beiden Ländern etabliert. Ist es nicht als Armutszeugnis zu werten, dass gut ausgebildete, qualifizierte Berufsanfänger nicht automatisch auch jenseits einer gemeinsamen Grenze einsteigen können, weil ihre Zeugnisse beim Nachbarn nicht anerkannt sind?

Professor Dr. Wolfgang Arens-Fischer
Professor Dr. Wolfgang Arens-Fischer

Wolfgang Arens-Fischer: Zeugnisse werden vom Grundsatz her schon anerkannt, aber Jobaspiranten müssen oftmals einen Prüfprozess durchlaufen. Das könnte man auf Dauer sicherlich vereinfachen und sollte eigentlich auch längst geschehen sein. Es ist leider immer noch so, dass es dafür einen längeren Prozess braucht, aber grundsätzlich anerkannt werden Diplome schon. Arbeitgeber sind da in manchen Fällen entspannt, in anderen wieder nicht. Wenn es um Arbeit geht und um den Zugang zu Arbeit, ist letzterer mit einem Zeugnis grundsätzlich möglich. Für bestimmte Tätigkeiten zum Beispiel in der Pflege, die extra abgestützt sein müssen über eine rechtliche Handhabe, ist eine Prüfung allerdings die Regel. Hier müssen Bewerber dann zur Absicherung manchmal Prüfprozesse durchlaufen. Wir müssen in dieser Frage einmal unterscheiden zwischen dem generellen Zugang zu Arbeit – der ist im Allgemeinen gegeben. Zweitens kann es sein, dass dieser Zugang noch mal gesondert geregelt ist durch landesspezifische Gesetze, zum Beispiel in der Gesundheitsversorgung; hier ist die Gesetzeslage sogar innerhalb eines Landes manchmal unterschiedlich. Drittens geht es natürlich um die Frage, ob Arbeitgeber wissen, was sie bekommen, wenn sie eine(n) Bewerber/in aus dem Ausland einstellen.

 

„Diese Unterschiedlichkeit ist natürlich damit verbunden, dass manche Dinge nicht zwangsläufig eins zu eins mit einander vergleichbar sind. Das hat zur Folge, dass jemand, der in einem anderen System, in einem anderen Land aufgewachsen ist, womöglich eine längere Einarbeitungszeit braucht.“

 

Katrin Dinkelborg: Es geht im Grunde nicht so sehr um eine formale Anerkennung, außer vielleicht im Gesundheitsbereich oder aufgrund landesspezifischer Vorgaben. Es geht vielmehr darum, die Unsicherheit zu verringern. Und genau hier sollte übrigens unser Projekt andocken. Wir haben zum Beispiel nicht mal in Deutschland ein Betriebswirtschaftsstudium bis ins letzte Detail genormt. Lehrende haben bei uns die Freiheit, zu bestimmen, welche Lerninhalte sie in welche Module bündeln. Und wenn ich das Ganze potenziere, ist das in den Niederlanden auch noch mal der Fall. Dieser Umstand verunsichert meines Erachtens Arbeitgeber in Deutschland wie in den Niederlanden. Sie haben eine ungefähre Vorstellung davon, was Absolvent/innen der Hochschulen des eigenen Landes können. Und dann kommen da Bewerber/innen aus einem anderen Land hinzu, wieder mit anderen Studiengängen, anderen Lernmodulen, anderen Grundlagen in diesen Modulen.

Es kommt also nicht dazu, dass etwa deutsche Arbeitgeber niederländische Bewerber nicht wollen und umgekehrt. Es besteht einfach Unsicherheit darüber, was man bekommt, und ob die Leute schnell einsetzbar sind. Die Personalabteilungen von Unternehmen haben ja ein Interesse daran, dass ihre neuen Mitarbeitenden so viel Erfahrung mitbringen, dass keine längeren Einarbeitungszeiten nötig sind. Hier müssen wir der Frage nachgehen, ob das berechtigt ist oder nicht.

 

AHA24x7.com: Trotz vielversprechender Ergebnisse eines Projekts wie des Cross Border Talent-Programms gibt es offenbar immer noch Hindernisse für Menschen mit Hochschulabschluss, die auf der anderen Seite der Grenze eine Anstellung anstreben. Wo liegt das Problem? Worin genau besteht die Unvereinbarkeit der jeweiligen Berufsausbildungen?

Wolfgang Arens-Fischer: Es ist immer schnell der Ruf da, wir müssten Studium und Ausbildungsinhalte normieren, damit die Einsetzbarkeit in einem Unternehmen jenseits der Grenze reibungslos funktioniert. Das sehe ich ehrlich gesagt nicht so. Wir haben einen bestimmten Rahmen, in dem wir uns bewegen von Seiten der Hochschulen in ganz Europa. Eine Hochschule kann da unterschiedliche Akzente setzen, und natürlich setzt auch jedes Land hinsichtlich der Ausbildung seine eigenen Akzente. Worin im Übrigen ja auch eine Chance besteht, nämlich Unterschiede zu ermöglichen, sie als Wert anzuerkennen, zu akzeptieren. Diese Unterschiedlichkeit ist natürlich damit verbunden, dass manche Dinge nicht zwangsläufig eins zu eins mit einander vergleichbar sind. Das hat zur Folge, dass jemand, der in einem anderen System, in einem anderen Land aufgewachsen ist, womöglich eine längere Einarbeitungszeit braucht.

Wir wollen im Rahmen unseres Projekts zur Förderung euregionaler Kompetenzen herausbekommen, worin genau die Unterschiede bestehen in den Berufsbildern, die wir uns ganz systematisch angucken, wie weit das hinsichtlich der fachlichen und persönlichen Kompetenz wirklich auseinanderfällt, wie groß die Differenz ist, wo in fachlicher Hinsicht in dem einen oder dem anderen Land nachgesteuert werden muss, damit eine direkte Anschlussfähigkeit gegeben ist. Natürlich funktioniert Arbeit in beiden Ländern ein Stück weit unterschiedlich. Ich mag es zwar nicht so gerne, wenn diese Unterschiedlichkeit auf „die Kultur“ reduziert wird.  Aber zweifellos gibt es diese bestimmte andere Art des Zusammenarbeitens. Das kann man als Kultur bezeichnen, aber es hat genauso mit Arbeitsorganisation, mit Zugänglichkeit zu tun. Hier müssen wir ansetzen, und hier kommt der regionale Aspekt ins Spiel. Egal ob ich jetzt Teams betrachte, die mit Deutschen oder Niederländern besetzt sind – es haben sich in jedem Fall Arbeitsvorgänge, Prozesse eingeschliffen. Danach wollen wir schauen und auf dieser Basis Kompetenzen entwickeln, die für unsere binationale Region erforderlich sind.

 

AHA24x7.com: Die sprichwörtliche deutsche Gründlichkeit und die niederländische Kreativität und Flexibilität sind Eigenschaften, die oftmals einer guten Zusammenarbeit im Wege stehen. Welche sind denn die spezifischen euregionalen Kompetenzen?

Wolfgang Arens-Fischer: Da stellt sich zunächst einmal die Frage, wie wir uns einer Aufgabe nähern, wie wir Teams zusammensetzen, wie wir unsere Arbeit in Teams inhaltlich strukturieren. Wie sind da die typischen organisationalen Prozesse in den Niederlanden und wie in Deutschland? Wie mache ich beispielweise ein Angebot, was gehört da hinein, wie funktioniert in einem Unternehmen die operative Zusammenarbeit, das tatsächliche Zusammenwirken? Wie gehen deutsche Mitarbeiter üblicherweise an Aufgaben heran, wie anders ist da der niederländische Ansatz? Hier sind dann spezifische Kompetenzen zu entwickeln.

 

„Wenn ich gesellschaftliche Kompetenzen in meinem Studium entwickeln soll, würde das heißen, dass ich meine Grenzregion als eine grenzüberschreitende Region wahrnehme und versuche, Teil beider Gesellschaften zu werden oder Teil einer grenzüberschreitenden Gesellschaft und mich dort auch einzubringen.“

 

AHA24x7.com: Einer Empfehlung des Rijnland Instituut zufolge geht es darum, die Inhalte der Ausbildung in Niedersachsen/NRW und den Partnerinstitutionen in den Niederlanden einander anzugleichen. Verfolgen Sie den Plan, inhaltlich identische Ausbildungen zu schaffen, damit das Problem alsbald vom Tisch ist?

Wolfgang Arens-Fischer: Es geht nicht darum, Unterschiede zu negieren oder abzuschaffen. Im Unterschied liegt immer eine Chance. Wenn beispielsweise ein Niederländer mit seinem Hintergrund und seiner Arbeitsweise seine Sichtweise auf ein Problem in einem deutschen Unternehmen richtet, könnte dies die herkömmliche Herangehensweise an das Problem bereichern. Von daher geht es uns nicht darum, Dinge zu homogenisieren, einheitlich zu machen. Es geht darum, Anschlussfähigkeit zu fördern.

Katrin Dinkelborg: Wir haben bei dem, was wir tun, ein Kompetenzmodell zugrunde gelegt. Dazu zählt auch die gesellschaftliche Kompetenz, gemeint sind damit die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich für die Gesellschaft zu engagieren, Gesellschaft selber mitzugestalten. Da ich für mein Teil auf Grund meiner Herkunft eine geborene Grenzgängerin bin, betrachte ich die Region als meine Heimat. Das schließt einen rein niederländischen oder rein deutschen Bezug aus. Wenn ich gesellschaftliche Kompetenzen in meinem Studium entwickeln soll, würde das heißen, dass ich meine Grenzregion als eine grenzüberschreitende Region wahrnehme und versuche, Teil beider Gesellschaften zu werden oder Teil einer grenzüberschreitenden Gesellschaft und mich dort auch einzubringen. Dies wäre ein typisches Beispiel für gesellschaftliche Kompetenz.

 

AHA24x7.com: Ist es nicht äußerst schwierig, in dem einen Land aufzuwachsen und von den dort geltenden organisatorischen Vorgaben bestimmt zu sein und sich gleichzeitig in dem benachbarten Land gesellschaftlich einzubringen?

Katrin Dinkelborg: Das ist doch gerade das Problem, das wir haben! Nehmen wir doch mal unsere Hochschulstandorte, die nur 40 Kilometer voneinander entfernt liegen. Da wissen wir auf der einen Seite der Grenze nicht, was auf der anderen in einem BWL-Studium gemacht wird. Das bekommen wir nur in den Griff, wenn wir versuchen, die Grenzregion, in der beide Hochschulstandorte sind, als eine Region zu begreifen und zur Aufklärung beizutragen, was ein Arbeitgeber auf deutscher Seite von niederländischen Hochschulabsolvent/innen erwarten kann und umgekehrt.

 

„Uns geht es darum, einen gemeinsamen Arbeits- und Bildungsmarkt zu kreieren, um Anschlussfähigkeit herzustellen, sowohl für Arbeitgeber, Mitarbeitende und Studierende/Auszubildende. Wir wollen erreichen, dass sich Arbeitgeber gar keine Gedanken darüber machen müssen, ob jemand, der von einer Hochschule aus dem Nachbarland kommt, über dieselben Kompetenzen verfügt wie ein Kandidat aus dem eigenen Land.“

 

Annick Bakker
Annick Bakker

AHA24x7.com: Das Rijnland Instituut stellt fest, dass die Unterschiede nicht unüberwindlich sind und dass die Probleme bei der Integration von Menschen in einem Betrieb jenseits der Grenze oftmals im persönlichen und kulturellen Bereich zu suchen sind. Wie wichtig sind die Beherrschung der jeweils anderen Sprache und die Wahrnehmung von Kulturunterschieden?

Annick Bakker: Sprache und Kultur sind selbstverständlich ganz entscheidende Aspekte in diesem Zusammenhang. Bei der Zusammenarbeit zwischen niederländischen und deutschen Mitarbeitenden eines Unternehmens kommt es definitiv darauf an, in adäquater Weise aufeinander einzugehen, sich auf einander verlassen zu können. In unserem Institut zählt das Hinarbeiten auf diese Kompetenzen zu den Grundpfeilern der Ausbildung. Zurzeit laufen hier bei uns an der Hochschule einige Projekte mit diesen Zielvorgaben. Deutsch und Niederländisch gleichermaßen zu sprechen, sollte in der Region selbstverständlich sein.

Cigdem Zantingh (Foto: tbv Publicaties)
Cigdem Zantingh (Foto: tbv Publicaties)

Cigdem Zantingh-Akcelik: Was die Arbeitskultur anbelangt, ist es wichtig herauszustellen, dass keine Herangehensweise, keine Sicht auf Probleme bei der Zusammenarbeit die einzig richtige ist. Uns geht es darum, einen gemeinsamen Arbeits- und Bildungsmarkt zu kreieren, um Anschlussfähigkeit herzustellen, sowohl für Arbeitgeber, Mitarbeitende und Studierende/Auszubildende. Wir wollen erreichen, dass sich Arbeitgeber gar keine Gedanken darüber machen müssen, ob jemand, der von einer Hochschule aus dem Nachbarland kommt, über dieselben Kompetenzen verfügt wie ein Kandidat aus dem eigenen Land. Und sollte das nicht der Fall sein, was notwendig ist, um diese zu erweitern, bis es passt. Bei uns am Alfa-college machen wir an unseren Standorten die Studierenden so gut wie möglich mit der etwas anderen Unternehmens- und Landeskultur in deutschen Betrieben vertraut und hoffen dadurch, deren Anschlussfähigkeit zu fördern. So können wir unsere Auszubildenden/Studierenden gemeinsam für den europäischen Arbeitsmarkt vorbereiten.

 

AHA24x7.com: Wie sieht ein an Regionen gebundenes Lernen und Arbeiten aus?

Wolfgang Arens-Fischer: Regionales Lernen impliziert, dass wir als Dozent/innen wechselseitig im jeweils anderen Land lehren wollen. Das tun wir zum Teil bereits. Wir haben gemeinsame Lehrveranstaltungen, die grenzüberschreitend durchgeführt werden. Grundlagen der Kunststofftechnik zum Beispiel ist ein Modul, das von der NHL Stenden sowie von Hochschule Osnabrück in Lingen angeboten und gemeinsam durchgeführt wird – und zwar in einem deutsch-niederländisch-englischem Sprachmix. Das funktioniert gut. Und so sollte es sein, jeder ist offen für die Sprache des anderen, hört zu, versucht zu verstehen. In den einzelnen Gruppen praktizieren wir diese Offenheit. In der Praxis, bei der Arbeit im Betrieb, ist es natürlich unabdingbar, die jeweilige Landessprache zu beherrschen, sonst kommt man ja im Kollegenkreis nicht zurecht.

 

Über die Interviewpartner:

Prof. Dr. Wolfgang Arens-Fischer ist Hochschullehrer an der Fakultät für Management, Kultur und Technik der Hochschule Osnabrück.

Annick Bakker arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der NHL Stenden Hogeschool.

Katrin Dinkelborg arbeitet in der Forschungsstelle duales Studium an der Fakultät für Management, Kultur und Technik der Hochschule Osnabrück in Lingen.

Cigdem Zantingh-Akcelik arbeitet in der Institutsleitung beim Alfa-college.