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Hand in Hand gegen ausbeuterische Wohnverhältnisse

Bei einer groß angelegten Razzia hat die nordrhein-westfälische Landesregierung zusammen mit der niederländischen Regierung und den Kommunen gegen ausbeuterische Leiharbeitsunternehmen durchgegriffen. Erstmals war auch ein Team des rumänischen Arbeitsschutzes beteiligt.

Am 24. und 25. Oktober 2022 wurden im Kreis Borken insgesamt 42 Wohnungen in fünf Immobilien in Gronau und vier in Südlohn unter die Lupe genommen. Die Kontrollen offenbarten Mieter- und Arbeitnehmerausbeutung durch Leiharbeitsunternehmen im deutsch-niederländischen Grenzgebiet.

„In Nordrhein-Westfalen nehmen wir skrupellosen Unternehmen mit ausbeuterischen Wohn- und Arbeitsverhältnissen die Luft zum Atmen. Mit den Kontrollaktionen gelingt es uns, illegale Strukturen von menschenunwürdiger Unterbringung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern aufzudecken. Mit dem verschärften Wohnraumstärkungsgesetz ermöglichen wir es Kommunen hart durchzugreifen. Dabei unterstützen wir sie“, so Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Die jetzt bereits dritte durchgeführte Kontrollaktion zeige, dass das konsequente Durchgreifen der Behörden wirke. Die diesmal festgestellten baurechtlichen Mängel seien zwar nicht so eklatant gewesen wie zuvor, wohnungsaufsichtsrechtliche Missstände würden jedoch bleiben: Matratzenmieten zwischen 300 Euro und 400 Euro, zum Teil starke Vermüllung, Schimmelbildung. „Oberstes Ziel ist es, die ausbeuterischen Miet- und Wohnverhältnisse zu beenden und Menschen zu schützen. Dabei arbeiten wir Seite an Seite mit den Niederlanden, erstmals mit dem rumänischen Arbeitsschutz und den betroffenen Kommunen, um gegen diese moderne Form der Sklaverei vorzugehen. Wir dürfen hier nicht nur die Erwachsenen in den Blick haben. Es geht auch um Kinder, die mit ihren Eltern nach Deutschland kommen. Wir lassen nicht locker und bleiben dran“, erklärt Schaarenbach weiter.

Verschiedenste Mängel

Vor Ort trafen die Behörden rund 150 Arbeitnehmer niederländischer Leiharbeitsfirmen an. Sie seien kontrolliert und über ihre Schutzrechte aufgeklärt worden. Brandschutzmängel, Schimmel, fehlende Stromversorgung sowie weitere bau- und wohnungsrechtliche Mängel wurden festgestellt. Die Unternehmen hätten zudem von den Bewohnern zu hohe Mieten verlangt, sie abgeschottet, bedroht und sie über ihre Mieterrechte in Unkenntnis gelassen. In den meisten Wohnungen würden Arbeitnehmer willkürlich ohne sich zu kennen einquartiert. Pro Schlafplatz würden 300 bis 400 Euro als Miete direkt vom Lohn einbehalten.

Dort, wo es einen Anfangsverdacht von Mietwucher und Straftaten gibt, sollen Strafverfahren eingeleitet werden. Des Weiteren seien Verstöße gegen das niederländische Arbeitsschutzrecht festgestellt worden. Die festgestellten Rechtsverstöße sollen ordnungsrechtlich geahndet werden. Eklatante Verstöße gegen das niederländische Arbeitsschutzrecht (Mindestlohn, Arbeitszeiten) würden die niederländischen Behörden zusätzlich ahnden.

Gemeinsame grenzüberschreitende Aktion

Die Kontrollaktion wurde vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen initiiert und koordiniert. Dabei erfolgte eine Abstimmung mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Arbeitsminister Karl-Josef Laumann stellt klar: „Die Vorgaben des Arbeitsschutzkontrollgesetzes mit den neu geschaffenen klaren Anforderungen an die Unterbringung von Arbeitskräften werden durch die Arbeitsschutzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalens konsequent kontrolliert – und zwar grenzüberschreitend. Dies haben wir mit der gemeinsamen Kontrollaktion noch einmal untermauert.“

Neben den zuständigen Behörden waren parallel erstmalig Vertreter einer Nichtregierungsorganisation aus Deutschland vor Ort. Der Verein Arbeit und Leben DGB/VHS NRW e.V. („Projekt: Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“) setzt sich zusätzlich für die Leiharbeitnehmer in prekären Arbeitsverhältnissen aus dem Ausland ein. Durch Aufklärung über Mieter- und Arbeitnehmerrechte im Nachgang zu den Kontrollen machen sie sich für die Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte stark.

Karin van Gennip, niederländische Arbeits- und Sozialministerin: „Wanderarbeitnehmer haben das Recht auf eine gute Unterkunft und einen schönen Arbeitsplatz, genau wie du und ich. Hier, aber auch jenseits der Grenze. Allzu oft werden Wanderarbeitnehmer noch immer als Bürger zweiter Klasse behandelt und leben und arbeiten unter entsetzlichen Bedingungen. Böswillige Arbeitgeber nutzen die Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland, um die Durchsetzung der geltenden Gesetze und Vorschriften zu umgehen. Das ist inakzeptabel. Ich freue mich daher, dass wir gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen gegen den Missbrauch von Arbeitsmigranten vorgehen.“

Meist niederländische Leiharbeitsunternehmen

Im Kreis Borken seien nach Schätzungen insgesamt etwa 2.500 Arbeitsmigranten von den ausbeuterischen Strukturen betroffen. Vor allem niederländische Leiharbeitsunternehmen, vorwiegend mit Geschäftsbeziehungen in die fleischverarbeitende Industrie, würden solche Strukturen aufbauen. Aus den benachbarten Wohnhäusern der oft überbelegten Gebäude wurde von einer Vermüllung der Grundstücke, übergreifendem Ungezieferbefall und massiven Ruhestörungen berichtet.

Dr. Kai Zwicker, Landrat des Kreises Borken: „Die Grenze zwischen dem Kreis Borken und den Niederlanden ist 108 Kilometer lang. Daher arbeiten viele Migrantinnen und Migranten in den Niederlanden, wohnen aber bei uns im Westmünsterland. Dadurch können leichter gesetzliche Regelungen, wie der Mindestlohn in unserem Nachbarland, umgangen werden.“

Rainer Doetkotte, Bürgermeister der Stadt Gronau: „Mit Akteuren auf beiden Seiten der Grenze ist die Aktion sorgfältig geplant und vorbereitet worden. Bestehende Zustände aufgrund der Grenzlage können nicht länger geduldet werden. Die Landesregierung und alle betroffenen Kommunen müssen eine Ausbeutung der Leiharbeitenden rigoros bekämpfen.“

Werner Stödtke, Bürgermeister der Gemeinde Südlohn: „Gerade als Grenzgemeinde mit vielfältigen Verflechtungen zu den Niederlanden ist es für uns von besonderem Interesse, dass gute und sichere Wohnmöglichkeiten vorliegen und dies auch für Menschen mit Arbeitsverhältnissen in den Niederlanden gewährleistet werden kann. Wir hoffen mit dieser Aktion den Bewohnern wieder ein sicheres Gefühl in den eigenen Wänden vermitteln zu können.“

Grenzübergreifende Zusammenarbeit als wichtiger Schritt zur Bekämpfung von organisierter Ausbeutung

Die grenzübergreifenden Kontrollen gehen auf eine Initiative des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen zurück. Bereits zweimal fanden erfolgreiche Kontrollen im Kreis Kleve im deutsch-niederländischen Grenzgebiet statt: am 12. und 13. Februar 2022 in Geldern und Emmerich und am 8. Mai 2022 in Goch.

Die niederländischen Leiharbeitsfirmen nutzen für ihre dubiosen Machenschaften bei der Unterbringung der Arbeitsmigranten die länderspezifischen Gesetze aus. Auf deutscher Seite sei es problematisch für die Behörden, dass sie kaum Informationen über die genaue Anzahl der Arbeitsmigranten in den Unterkünften haben und der Arbeitsort in den Niederlanden liegt. Ein Bundesgesetz verkompliziere die Angelegenheit noch einmal. Denn durch eine Sonderregelung müssten sie sich erst nach drei Monaten beim Einwohnermelderegister anmelden. Doch auch nach Ablauf dieser Frist erfolge meist keine offizielle Anmeldung.

Hinzu komme noch der Schichtbetrieb in der Fleischindustrie, sodass nicht alle Bewohner in den Unterkünften angetroffen werden können. Die Faktoren würden es den nordrhein-westfälischen Behörden erschweren, die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen in Gemeinschaftsunterkünften oder der Brandschutzvorschriften, Bauordnungsvorschriften, des Wohnraumstärkungsgesetzes Nordrhein-Westfalen sicherzustellen. Hinzu käme, dass Betroffene berichtet haben, dass ihnen Lohn nicht vollständig ausbezahlt wurde, in Krankheitsfällen vereinzelt sogar gar nicht. In den Niederlanden seien allerdings Lohnabzüge für Miete und Gesundheitsfürsorge nur bis zu 25 Prozent zulässig und auch nur, wenn den Arbeitnehmern angemessene Wohnbedingungen vom Arbeitgeber geboten werden. Durch die Unterbringung der Arbeitsmigranten und der arbeitsvertraglichen Unterlagen in Deutschland hätten die niederländischen Behörden Schwierigkeiten ihre Gesetzesvorschriften zu überprüfen.

Zusammenfassend lässt sich laut der NRW-Landesregierung feststellen, dass niederländische Arbeitsverleiher den auf deutscher Seite günstigeren Wohnraum ankaufen oder anmieten, Leiharbeitnehmer aus Südosteuropa in ihren Heimatländern oft mit falschen Versprechungen anwerben und in menschenunwürdigen Unterkünften einquartieren. Daher sei es umso wichtiger, dass die grenzübergreifende Zusammenarbeit in diesem Bereich intensiviert wird.