Ein Blog vom niederländischen Rechtsanwalt Wouter Timmermans
Pacta sunt servanda, d.h. auf Deutsch: Verträge sind einzuhalten. Was aber, wenn Sie wegen Störungen in der Lieferkette, behördlicher Arbeitsverbote oder Quarantäne wesentlicher Mitarbeiter nicht in der Lage sind, wie vertraglich vereinbart, Ihre Leistung zu erbringen? Ist es möglich, dass Sie sich erfolgreich auf höhere Gewalt (Force Majeure) berufen? Das ist aktuell eine der dringlichsten Fragen des niederländischen Zivilrechts.
Welches Recht ist denn überhaupt anwendbar?
Wenn Ihr Handelspartner ein niederländisches Unternehmen ist, muss erst festgestellt werden, welches Recht überhaupt anwendbar ist. Denn anhand des anwendbaren niederländischen oder deutschen Rechts muss die Frage, ob man sich auf höhere Gewalt berufen kann, letztendlich beantwortet werden.
Meistens haben Sie mit Ihrem niederländischen Vertragspartner eine Rechtswahl im Kaufvertrag oder in den AGB festgelegt, sodass eindeutig feststeht, welches Recht anwendbar ist. Aber selbst dann kann es sein, dass nicht das deutsche oder niederländische Recht entscheidet, ob höhere Gewalt gilt, sondern das UN-Kaufrecht.
Höhere Gewalt (Force Majeure)?
Bei höherer Gewalt handelt es sich um eine Situation, bei der Sie den Vertrag nicht erfüllen können. Die Ursache der Nichterfüllung liegt nicht bei Ihnen. Sie konnten und mussten keine Vorsichtsmaßnahmen treffen, da die Ursache für Sie nicht vorhersehbar war.
Denkbar ist, dass gesetzliche Bestimmungen und andere Maßnahmen im Rahmen der Bekämpfung des Coronavirus verhindern, dass von Ihnen vereinbarte Leistungen erbracht werden. Für viele Parteien war das an einem gewissen Zeitpunkt noch gar nicht vorhersehbar. Besonderen wegen der besonderen Art der hiesigen Krise könnte dann schnell ein Fall höherer Gewalt vorliegen. Dies wird aber nicht pauschal in allen Corona-Fällen so sein. Es müssen immer den jeweiligen Umständen des Einzelfalls berücksichtigt werden.
Wichtige Klausel im Vertrag und in den AGB
Das niederländische Bürgerliche Gesetzbuch definiert nur im Allgemeinen was höhere Gewalt ist und zu welchen Rechtsfolgen es beim Eintreten davon kommt. Es bestimmt jedoch nicht wortwörtlich, dass das Coronavirus oder Epidemien als höhere Gewalt gelten.
Häufig sieht man, dass Parteien die Reichweite der gesetzlichen Definition in einer sogenannten Force Majeure-Klausel im Vertrag oder in den AGB konkretisieren, ausdehnen oder begrenzen.
Vielleicht, dass Ihr Vertrag oder die anwendbaren AGB eine solche Klausel enthält und, dass Epidemien darin ausdrücklich als höhere Gewalt bezeichnet worden sind. In dem Fall könnten Sie sich möglich erfolgreich darauf berufen.
Wenn der Vertrag ausdrückliche Leistungsgarantien enthält und diese Leistungen wegen der Coronakrise von Ihnen nicht erbracht werden können, dann ist es für Sie wahrscheinlich unmöglic,h sich auf höhere Gewalt zu berufen.
Sie haben sich mit dem Coronavirus infiziert und können die Leistung nicht erbringen
Haben Sie sich mit dem Coronavirus infiziert, kann aber die Leistung auch von einem Dritten, zum Beispiel einem Mitarbeiter erbracht werden, dann besteht in der Regel kein Leistungshindernis und können Sie sich nicht auf höhere Gewalt berufen. Wenn nur Sie persönlich die Leistung erbringen können, kann dies unter Umständen anders sein. Es hängt dann von den Umständen des Einzelfalls ab.
Ihr Abnehmer kann wegen der Coronakrise Ihre Waren nicht mehr zahlen
Auch Abnehmer leiden unter der Coronakrise. Sie müssen Geschäfte schließen, wodurch ihr Cashflow stark beeinträchtigt wird. Ein Abnehmer der eine Zahlungsverpflichtung hat, dem aber wegen der Krise die finanziellen Mittel ausgehen und der daher seinen Lieferanten nicht mehr zahlen kann, kann sich im Gegensatz zum Lieferanten in der Regel jedoch nicht auf höhere Gewalt berufen.
Höhere Gewalt liegt vor. Und was jetzt?
Wenn Sie sich erfolgreich auf höhere Gewalt berufen können, bedeutet das, dass Ihr Vertragspartner nicht von Ihnen verlangen kann, dass Sie den Vertrag erfüllen. Eine andere Rechtsfolge ist, dass ihr Vertragspartner Sie wegen der Nichterfüllung des Vertrages nicht haftbar machen kann; er kann also keine Schadensersatzansprüche geltend machen.
Aber Vorsicht ist geboten, denn es ist in der Regel möglich, dass Ihr Vertragspartner, trotz der höheren Gewalt den Vertrag völlig, oder teilweise rückgängig macht. In dem Fall wären Sie verpflichtet die bereits bezahlte Kaufsumme ihm zurückzuerstatten.
Ob Ihr Vertragspartner damit durchkommt, ist noch völlig unklar. Es könnte sein, dass der Richter urteilt, dass wegen der besonderen Art der Vertragsverletzung, sowie wegen der übrigen Umstände des Falles ein Rücktritt in dieser Situation nicht gerechtfertigt ist.
Eine rasante Steigerung von Rechtsfällen
Die Frage der höheren Gewalt spielte auch in Rechtsstreitigkeiten während der Vogelgrippe und Finanzkrise eine zentrale Rolle. Das Ausmaß der Coronakrise scheint aber noch viel größer zu sein. Es ist daher meine Erwartung, dass es demnächst eine rasante Steigerung von Rechtsfällen gibt, bei denen höhere Gewalt eine zentrale Rolle spielt und die niederländischen Gerichte sich mit der Frage auseinander setzen müssen, ob es gerechtfertigt ist, dass eine Gegenseite in einem solchen Fall vom Vertrag zurücktritt.
Es ist noch völlig unklar, ob es dabei bleibt, dass die Gerichte die Lehre der höheren Gewalt nach wie vor streng anwenden, sowie sie das während der Vogelgrippe und Finanzkrise gemacht haben, oder ob es hinsichtlich der aktuellen Notlage möglicherweise Lockerungen gibt.
Wenn Sie zu diesem Blog Fragen haben, können Sie sich Kontakt zu Wouter Timmermans aufnehmen.
Über den Autor
Wouter Timmermans berät und vertritt seit vielen Jahren deutsche Unternehmen mit seiner Expertise im niederländischen Recht. Er ist Anwalt der Kanzlei Stellicher advocaten NV in Arnheim (Niederlande) und Vorsitzender des Deutsch-Niederländischen Businessclubs Gelderland.