Häufig kommt es vor, dass Parteien über längere Zeit Vertragsverhandlungen führen und dass eine der Parteien die Verhandlungen abbricht. Der niederländische Rechtsanwalt Wouter Timmermans erklärt in seinem Blogbeitrag, unter welche Umstände ein abbrechender Verhandlungspartner sich nach niederländischem Recht haftbar macht und welchen Schaden er dann zahlen muss.
Grundsätzlich dürfen Verhandlungen abgebrochen werden
Im niederländischen Recht hat die Vertragsfreiheit von Parteien eine sehr große Bedeutung. Diese Vertragsfreiheit umfasst auch das Recht eines Verhandlungspartners Verhandlungen zu jederzeit und ohne triftigen Grund abzubrechen, ohne dass er sich haftbar macht.
Es gibt zwei Ausnahmen, bei denen der abbrechende Verhandlungspartner sich aber haftbar macht. Diese werden jedoch von niederländischen Richtern in der Regel nur sehr zurückhaltend angenommen. Es handelt sich dabei um:
I. Gerechtfertigtes Vertrauen, dass ein Vertrag zustande kommen würde
Erstens kann der Abbruch von Verhandlungen nach Maßstäben der Redlichkeit und Billigkeit inakzeptabel sein, wenn die abbrechende Partei bei dem Verhandlungspartner ein gerechtfertigtes Vertrauen erweckt hat, dass ein Vertrag zustande kommen würde.
Zum Beispiel, wenn beide Verhandlungspartner bezüglich aller wesentlichen Einzelheiten (Menge, Farbe, Preis, usw.) des Deals bereits weitgehende Übereinstimmung erzielt haben, einer der Verhandlungspartner die Verhandlung plötzlich abbricht, ohne dass während der Verhandlungen von ihm jemals in irgendwelcher Art und Weise angedeutet worden ist, dass er noch Vorbehalte gegen den Deal hatte.
Ein weiteres Beispiel ist, wenn einer der Verhandlungspartner angibt, dass der Vertrag erst dann formell zustande kommt, nachdem er vom Aufsichtsrat des anderen Verhandlungspartners genehmigt worden ist. Bleibt diese Genehmigung daraufhin aus und werden die Verhandlungen abgebrochen, dann besteht in der Regel keine Haftung.
Da das Führen von Verhandlungen ein sehr dynamisches Verfahren ist, das in manchen Fällen Jahre dauern kann, kann es durchaus so sein, dass sich ein während des Verfahrens aufgebautes, gewecktes Vertrauen im Laufe der Verhandlungen wieder verringert oder sogar verschwindet. Zum Beispiel, wenn einer der Verhandlungspartner ständig neue Klauseln in den Vertragsentwurf einbringt. Dadurch kann es vorkommen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der abbrechende Verhandlungspartner im Laufe der Verhandlung haftet, weil er die Verhandlungen abbricht, geringer wird oder sogar gänzlich unwahrscheinlich wird.
Wenn einer der Verhandlungspartner eine solche Situation verhindern möchte, tut er gut daran, während der Verhandlungen erreichte Zielergebnisse dem anderen Verhandlungspartner schriftlich zu bestätigen.
Falls der abbrechende Verhandlungspartner sich haftbar macht, kann er vom Richter dazu verurteilt werden, seiner Gegenseite das positive oder negative Vertragsinteresse zu zahlen. Unter positivem Vertragsinteresse versteht man normalerweise den entgangenen Gewinn. Mit dem negativen Vertragsinteresse sind die Verhandlungskosten gemeint.
Im Gegensatz zum niederländischen Recht wäre es nach deutschem Recht übrigens unmöglich, im Falle des Verhandlungsabbruches eine Zahlung des entgangenen Gewinns zu verlangen.
II. Sonstige für den Fall relevante Umstände
Zweitens könnte der abbrechende Verhandlungspartner sich haftbar machen, wenn sonstige für den Fall relevante Umstände dazu führen, dass das Abbrechen nach Maßstaben der Redlichkeit und Billigkeit inakzeptabel ist.
Diese Situation könnte auftreten, wenn zwar kein gerechtfertigtes Vertrauen besteht, aber der abbrechende Verhandlungspartner inakzeptables Verhalten an den Tag gelegt hat. Zum Beispiel, wenn er einen vorgetäuschten Grund für das Abbrechen der Verhandlungen aufführt oder die Verhandlungen von ihm nicht ernst geführt worden sind.
In diesem Fall könnte die abbrechende Partei jedoch ausschließlich dazu verurteilt werden, das negative Vertragsinteresse zu zahlen. Sollte es so sein, dass Parteien ausdrücklich vereinbart hatten, dass sie exklusiv miteinander verhandeln, kann das unter Umständen dazu führen, dass der abbrechende Verhandlungspartner der Gegenseite zusätzlich zu den zu zahlenden Verhandlungskosten noch eine Vergütung zahlen muss – und zwar für die verpasste Gelegenheit der Gegenseite, einen Vertrag mit einem Dritten abzuschließen.
Unvorhergesehene Umstände
Wenn eine der beiden Ausnahmen auftritt, kann es aber so sein, dass während der Verhandlungen unvorhersehbare Umstände auftreten, die es dem abbrechenden Verhandlungspartner trotzdem ermöglichen, die Verhandlungen abzubrechen – ohne, dass er sich dabei haftbar macht.
Beispielsweise, wenn Verhandlungen abgebrochen werden, weil die finanzielle Lage bezüglich eines Kaufobjektes sich dramatisch verschlechtert hat, sodass das Abschließen eines Kaufvertrags wirtschaftlich überhaupt keinen Sinn mehr macht. Unter Umständen ist die abbrechende Partei in dem Fall dennoch verpflichtet, dem Verhandlungspartner seine Kosten zu vergüten.
Wenn Sie Fragen zum Abbruch einer Verhandlung oder zu einer möglichen damit zusammenhangenden Haftung haben, können Sie gern jederzeit Kontakt mit Wouter Timmermans aufnehmen.
Über den Autor
Wouter Timmermans berät und vertritt seit vielen Jahren deutsche Unternehmen mit seiner Expertise im niederländischen Recht. Er ist Anwalt der Kanzlei Stellicher advocaten NV in Arnheim (Niederlande) und Vorsitzender des Deutsch-Niederländischen Businessclubs Gelderland.