An der Hochschule Niederrhein ist der Weg in die digitale Zukunft der Chemie frei: Mit einem hochmodernen Chemielabor am HIT (Institut für Oberflächentechnologie) wird ein Stück Industrie 4.0 verwirklicht. Es soll kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Region zugutekommen. Dort werden dank des Einsatzes von Automation und künstlicher Intelligenz innovative Lacke, Klebstoffe und 3D-Druck-Materialien hergestellt. Die in Krefeld am Campus West stehende Anlage ist Teil des D-NL-HIT-Projekts. Dabei handelt es sich um ein grenzüberschreitendes Projekt mit Partnern aus der deutsch-niederländischen Grenzregion.
„Unser Ziel ist es, in die digitale Zukunft der Chemie zu starten“, erklärt Institutsleiter Professor Dr. Jost Göttert. Mit der intelligenten Hochdurchsatz-Anlage sollen neue Rezepturen für Farben, Lacke und Klebstoffe nicht nur schneller als bisher, sondern vor allem nachhaltiger mit optimal an die jeweilige Anwendung angepassten Eigenschaften entwickelt und in marktreife Produkte überführt werden.
Dafür wird künstliche Intelligenz angewandt: Während sich die Chemiker etwa mit der Frage beschäftigen, wie nachwachsende Rohstoffe in innovativen Produkten und für neue Anwendungen formuliert werden können, werden die Routine-Laborarbeiten von einem automatisierten, intelligent gesteuerten System von Robotern übernommen – unermüdlich, präzise, Tag und Nacht und notfalls auch am Wochenende.
Chancen für Unternehmen in der Region
„Anstatt immer wieder Probe für Probe anzurühren und aufzutragen, machen dies die Roboter nach Vorgaben eines Algorithmus. Gleichzeitig entwickelt sich dabei ein digitales Modell, das den Chemiker bei der Optimierung seiner Formulierungsaufgabe unterstützt“, erklärt Projektmanager Dr. Joachim Schick. Die Kleinen und mittleren Unternehmen der Region erhalten so die Chance, über die intelligent gesteuerte Nutzung des Roboters die Möglichkeiten von Digitalisierung und Industrie 4.0 für ihre Produkte zu nutzen. Dank des Wissens- und Technologietransfers von der Hochschule in die Region können diese Unternehmen schnell neue Rezepturen entwickeln. Somit sollen sie dynamisch auf regulative Änderungen oder neue Marktanforderungen reagieren können.
Der Aufbau der Anlage verlief nicht ohne Hindernisse. Mitten in den Planungen musste ein neuer Anlagenbauer gefunden werden, dann verzögerte die Corona-Pandemie Lieferung und Aufbau. Im Frühjahr wurden die vorerst letzten der insgesamt 17 Module angeschlossen. Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ist ein riesiger Bildschirm, ein Touchscreen, über den die Chemiker die Anlage bedienen. Nachdem der Workflow festgelegt ist, übergibt der Nutzer seine Versuchskriterien an den ML-Algorithmus, der basierend auf initialen Formulierungsrezepturen und ersten Resultaten weitere Vorschläge für die Versuche macht. Im Workflow wird festgelegt, welche Stoffe und Module für das Experiment genutzt werden.
Erste Anlaufstelle für die digitale Lackchemie
Die Anlage ist auf einer Fläche von 250 Quadratmetern aufgebaut. Die eigens dafür hergerichtete Funktionshalle wird bei konstantem Klima (22 bis 23 Grad Celsius bei 50 Prozent Luftfeuchtigkeit) betrieben. Sie ist in der Lage, bis zu 150 Experimente am Tag durchzuführen. Ziel ist die Reduktion der benötigten Experimente bei gleichzeitig möglichst geringer Einsatzmenge der einzelnen Chemikalien. Dieses ressourcenschonende Vorgehen wird durch die innovative Kopplung von Automation und ML-Algorithmus erreicht. „Unser Ziel ist es, mit dieser Kombination, unserer iHIT Solution Engine, in der Region und auch landes- und bundesweit die erste Anlaufstelle für die digitale Lackchemie zu werden“, sagt Göttert. Dazu betreibt die HSNR den sowohl regional als auch überregional agierenden Open Innovation HUB HIT. Diese zukunftsweisende Entwicklungsstätte wird am 25. August 2021 von NRW-Wirtschafts-, Innovations- und Digitalisierungs-Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart im Rahmen seiner Sommer-Reisen zu den aktuellen Orten der Digitalen Transformation besucht.
D-NL-HIT ist mit einem Gesamtvolumen von 10,3 Millionen Euro das bislang größte Drittmittelprojekt aus Forschung und Transfer für die Hochschule Niederrhein. Es wird nach seinem Auslaufen Ende des Jahres in eine dauerhafte zentrale Einrichtung der HSNR überführt.