Das Corona-Virus macht an Grenzen keinen Halt. Das bekommen zurzeit auch die Teilnehmer des INTERREG-Projekts „Cross Border Talent“ zu spüren: talentierte und ambitionierte Studierende aus Deutschland und den Niederlanden, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeit im Normallfall in „ihrem“ Betrieb jenseits der Grenze praktisch tätig sind. „Cross Border Talent“ wurde 2016 ins Leben gerufen mit dem Ziel, kleine und mittelständische Unternehmen auf beiden Seiten der Grenze die Chance zu bieten, ihre Ziele jenseits dieser Grenze mit Hilfe talentierter Hochschüler aus dem jeweiligen Nachbarland umzusetzen, die in Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Aktivitäten speziell für sie ausgesucht werden. „Abstand halten“ heißt derzeit für alle: arbeiten am heimischen PC. Ist das womöglich zugleich der Weg in eine neue Normalität?
Wie schwierig es ist, Unternehmen bei der Stange zu halten, die noch vor kurzem signalisiert hatten, gerne Studierende für die Projekt-Laufzeit von sechs Monaten einzustellen, hat Sarah Schönfelder, Projektmanagerin von „Cross Border Talent“, in den vergangenen Wochen nicht nur einmal erfahren müssen. „Viele der Firmen, die als Projektpartner für uns in Frage kommen, haben gerade andere Sorgen, als sich mit der Einstellung neuer Mitarbeiter zu beschäftigen“, sagt Schönfelder. „Da herrscht eher totaler Einstellungsstopp.“
Trotz der ausdrücklichen Versicherung, man wolle als niederländisches Unternehmen auf den deutschen Markt und ein ambitionierter deutschsprachiger Mitarbeiter sei dabei zweifellos von unschätzbarem Wert, möchten sich diese Betriebe derzeit nicht festlegen. Wo also aktuelle Akquise kaum erfolgversprechend zu sein scheint, arbeitet Projektmanagerin Sarah Schönfelder derzeit eben fast ausschließlich mit Studierenden und Unternehmen, die sich gerade in der Projektphase befinden. „Wir verfolgen als Projekt schließlich das Ziel, dass Unternehmen die Absolventen auch nach der Projektphase weiterbeschäftigen.“
Erkenntnis für die Zukunft: Online-Kommunikation ist effizienter
Die Kommunikation mit den Studierenden und Unternehmen verläuft zurzeit wie in den meisten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen selbstverständlich fast ausschließlich online. Und Sarah Schönfelder kann dem durchaus etwas Positives abgewinnen. „Was die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Projekt anbelangt, werde ich auch in Zukunft weitaus mehr digital erledigen, als dies bisher der Fall war“, versichert sie. Immerhin habe sich durch die Corona-bedingte Distanzierung gezeigt, welche enorme Zeit- und Kostenersparnis Online-Kommunikation mit sich bringt. „Wenn ich bedenke, wie viele Unternehmen wir im Projektzeitraum seit 2016 persönlich besucht haben, wie viele Stunden wir unterwegs gewesen sind… Wir haben in der Vergangenheit viel zu wenig über die Möglichkeiten von Videokonferenzen und den Einsatz von Social Media nachgedacht.“ Womöglich sind das Wege in die neue Normalität.
Unabhängig von den aktuellen Verwerfungen haben die „Cross Border Talent“-Projektkoordinatoren in Münster und Enschede von Anfang an feststellen müssen, dass deutsche Studierende sich in weit größerer Anzahl für eine Anstellung in den Niederlanden interessieren als ihre niederländischen Kommilitonen für ein Engagement auf deutscher Seite. Und das ist zweifellos zurückzuführen auf negative Attribute wie etwa die hierarchische Unternehmenskultur in deutschen Betrieben und den unterstellten Mangel an eigenverantwortlichem Arbeiten während des Aufenthalts im Betrieb. „Dadurch haben niederländische Studierende für einen Auslandsaufenthalt Deutschland einfach nicht auf dem Schirm“, weiß Sarah Schönfelder.
Nur virtuell im Betrieb
Für Willy Zubert bilden die Niederlande im Gegenzug eine echte Herausforderung. Der Bachelor-Student Wirtschaftsingenieurwesen Chemietechnik (Verfahrenstechnik) von der FH Münster, der seit dem 1. April diesen Jahres beim Straßenbau- und Infrastrukturbetrieb NTP Groep aus Enschede unter Vertrag steht, kann sich durchaus vorstellen, auch später dort zu arbeiten; dies obwohl er bis dato im Grunde nur virtuell im Unternehmen präsent sein konnte. Grund für diese Perspektive sei vor allem die offene Mentalität der Niederländer, aber auch die Unternehmensphilosophie. „Beeindruckt hat mich von Anfang an, dass es gefühlt keine Hierarchien gibt. Alle arbeiten auf Augenhöhe zusammen, egal, ob man Praktikant, Reinigungskraft oder Manager ist“, berichtet Zubert. „Das halte ich für einen erstrebenswerten Umgang mit einander, den ich in Deutschland bisher so noch nicht erlebt habe.“
Auch Willy Zubert arbeitet aufgrund der Corona-Auflagen ausschließlich im Homeoffice. „Natürlich wäre mir für die Durchführung dieses Studienabschnitts lieber gewesen, physisch anwesend zu sein. Als Homeoffice-Mitarbeiter fehlt mir ganz klar der persönliche Kontakt zu meinen Kollegen. Könnte ich in der Firma arbeiten, wäre der Arbeitsalltag motivierender, spannender und lehrreicher“, so Zubert. Immerhin wisse er jetzt, dass „für mich ein reiner Homeoffice-Job nicht in Frage“ komme. Auch das ein Weg in die neue Normalität nach Corona.
Nach den Lockerungen Gas geben für den Abschluss
Die Zusammenarbeit im Betrieb gestaltet sich momentan dergestalt, dass Zubert mit seinen Ideen, Konzepten und Ergebnissen aus eigenen Recherchearbeiten an die Kollegen herantritt und sie diese gemeinsam diskutieren. Eine Versuchsdurchführung in Hinsicht auf die Abschlussarbeit müsse, so Zubert, somit erst einmal hintenanstehen. „Ich hoffe, dass es möglichst bald zu Lockerungen kommt, zumal das RKI die Niederlande nicht mehr als Risikogebiet deklariert. Sobald die Lockerungen eintreten, werde ich umso mehr Gas geben, um meinen Abschluss ohne Verzögerungen zu machen.“