„Es ist üblich, in einer Stellenanzeige das Gehalt anzugeben“

„Es ist üblich, in einer Stellenanzeige das Gehalt anzugeben“
Tim Hartendorp, Data Analyst bei Jobdigger. Foto: Sander Foederer

Für Unternehmen in Deutschland und den Niederlanden wir es immer schwieriger, Personal zu gewinnen. Immer öfter gehen Unternehmen neue Wege, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Auch Arbeitsmarktdaten spielen dabei eine wichtige Rolle – wie etwa vom Arnheimer Unternehmen Jobdigger, das Online-Stellenangebote analysiert und die Daten für verschiedene Zwecke zur Verfügung stellt. Was es damit genau auf sich hat, wie sich der deutsche und niederländische Arbeitsmarkt unterscheiden und wie sich die Personalbeschaffung in beiden Ländern langfristig entwickeln wird, verrät Data Analyst Tim Hartendorp im Interview mit AHA24x7.com.

 

AHA24x7.com: Was genau macht Jobdigger?

Tim Hartendorp: Jobdigger sammelt Stellenangebote im Internet und verarbeitet sie zu strukturierten Informationen. Unser Ziel ist es, die vollständigste, genaueste und aktuellste Quelle für Jobdaten zu sein. In den Niederlanden tun wir das in diesem Jahr bereits seit einem Jahrzehnt. Im Jahr 2021 haben wir unser Angebot auf Belgien und Frankreich ausgeweitet und seit 2022 sind wir auch in Deutschland aktiv.

AHA24x7.com: Woher bekommen Sie Ihre Daten?

Tim Hartendorp: Voraussetzung ist, dass die offenen Stellen im Internet veröffentlicht werden und öffentlich zugänglich sind. Was uns von anderen Anbietern unterscheidet, ist, dass wir uns bemühen, so umfassend wie möglich zu sein. Viele werden die Websites Indeed, die Nationalevacaturebank in den Niederlanden oder in Deutschland zum Beispiel XING kennen. Diese Jobbörsen sind Teil unserer Daten. Aber wir wollen auch so viele kleinere Quellen wie möglich einbeziehen, wie zum Beispiel eine lokale Jobbörse für Berlin oder Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus umfassen unsere Daten auch Stellenangebote, die direkt von der Website eines Arbeitgebers stammen, z. B. werk.ah.nl, wo die Supermarktkette Albert Heijn ihre offenen Stellen veröffentlicht. Auf diese Weise erfassen wir in den Niederlanden derzeit täglich rund 13.000 Stellenangebote, in Deutschland sind es aktuell etwa 42.000.

 

„Wir verwenden verschiedene Methoden des maschinellen Lernens und trainieren damit Algorithmen, um zum Beispiel eine Stellenanzeige von anderen Texten im Internet zu unterscheiden. Wir trainieren diese Algorithmen regelmäßig mit neuen Daten, denn die Welt verändert sich ständig, und das bedeutet für unsere Arbeit: Stillstand ist Rückschritt.“

 

AHA24x7.com: Und wie genau sieht die Analyse aus?

Tim Hartendorp: Ein wichtiger Teil unserer Prozesse ist die künstliche Intelligenz. Wir verwenden verschiedene Methoden des maschinellen Lernens und trainieren damit Algorithmen, um zum Beispiel eine Stellenanzeige von anderen Texten im Internet zu unterscheiden. Wir trainieren diese Algorithmen regelmäßig mit neuen Daten, denn die Welt verändert sich ständig, und das bedeutet für unsere Arbeit: Stillstand ist Rückschritt. Die zweite Methode sind Regeln. Der Algorithmus trifft bereits eine starke Vorauswahl, hat aber auch seine Grenzen. Mit Regeln können wir die Ergebnisse weiter lenken. Zum Beispiel versuchen wir immer aus dem Text der Stellenausschreibung herauszufinden, zu welcher Organisation diese Stelle gehört. Hierfür verwenden wir Unternehmensdatenregister. Zudem beschäftigen wir eine Gruppe von Studenten, die ständig neue Verknüpfungen erstellt oder andere Daten zu unserem Modell hinzufügt. Dabei überprüfen sie auch regelmäßig eine Stichprobe von Stellenangeboten auf Datenelemente, die für unsere Kunden wichtig sind.
Und schließlich reichern wir die Stellendaten mit Unternehmensdaten und dem gewünschten Bildungsniveau an. Wir klassifizieren die Stellenangebote nach verschiedenen Standards wie der ISCO (International Standerd Classification of Occupation), der ESCO (European Standerd Classification of Occupation) und unserem eigenen Standard, der JDCO (Job Digger Classification of Occupation), in dem wir die Stellenangebote in mehr als 3.800 verschiedene Berufe unterteilen.

AHA24x7.com: Für wen sind die Daten interessant und für welche Zwecke?

Tim Hartendorp: Derzeit haben wir vier verschiedene Kundengruppen. Zum einen wären da die Personaldienstleister. Sie nutzen unsere Daten, um neue Kunden zu finden und im Auge zu behalten, welche offenen Stellen für sie von Interesse sind. Zu diesem Zweck nutzen sie unser Produkt Jobdigger Insights. Dabei handelt es sich um eine Online-Plattform, auf der wir Stellenangebotsdaten durchsuchbar machen und auf der man außerdem täglich Benachrichtigungen über neue Stellenangebote erhalten kann, die der eigenen Suche entsprechen. Forschungseinrichtungen nutzen unsere Daten, um die Fragen ihrer Kunden zu beantworten. Dabei handelt es sich oft um Fragen zum Arbeitsmarkt, für die wir die Angebotsseite liefern können. Eine weitere Kundengruppe sind Organisationen, die sich mit der Berufsberatung beschäftigen. Sie nutzen unsere Daten, um das aktuelle Angebot zu untersuchen, aber auch, um zu schauen, welche Übergänge zwischen verschiedenen Berufen möglich sind. Auch für Bildungseinrichtungen sind unsere Daten interessant. Sie verwenden sie, um zu untersuchen, ob der aktuelle Lehrplan für die verschiedenen Kurse der Marktnachfrage entspricht. So können sie Entscheidungen zu dessen Anpassung treffen. Darüber hinaus nutzen sie unsere Daten auch für Werbezwecke, z. B. um sich ein Bild von interessanten Arbeitgebern in der Region zu machen. Dies wird zu Werbezwecken genutzt, aber auch, um diese Organisationen auf mögliche Praktikumsplätze für ihre Studenten anzusprechen.

 

„Wir beobachten beispielsweise, dass immer mehr Unternehmen auch über die Grenzen hinaus blicken. Derzeit gilt das hauptsächlich für Firmen, die in den Grenzregionen tätig sind. Ich persönlich erwarte jedoch, dass sich der Trend immer weiter ins Landesinnere verlagern wird.“

 

AHA24x7.com: Worin unterscheiden sich der deutsche und der niederländische Arbeitsmarkt?

Tim Hartendorp: Aus unserer Perspektive sehen wir hier vor allem die Anzahl der Stellenangebote. Der Hauptunterschied ist das Volumen. In den Niederlanden haben wir 2022 rund 4,8 Millionen einzelne Stellanzeigen gefunden, in Deutschland fast 12 Millionen. Für Deutschland wird ein weiteres Wachstum auf rund 18 Millionen Stellenangebote in diesem Jahr erwartet. Wir sind nun seit etwas mehr als einem Jahr in Deutschland aktiv und erschließen weiterhin täglich neue Quellen.

Wir stellen aber bereits heute Unterschiede zwischen niederländischen und deutschen Jobangeboten fest. In den Niederlanden ist es zum Beispiel häufig üblich, in einer Stellenanzeige auch das Gehalt anzugeben. Im Jahr 2022 war das in 40 Prozent der Jobangebote der Fall. Zum Vergleich: In Deutschland liegt dieser Wert bei nur fünf Prozent. Ein weiterer Unterschied ist, dass in den Niederlanden mehr als 60 Prozent der Stellenangebote nur zwei Wochen online sind – in Deutschland etwa eine Woche länger. In den Niederlanden wird auch öfter sofort ein unbefristeter Vertrag angeboten als in Deutschland. Außerdem stellen wir fest, dass in den Niederlanden ein höherer Anteil der offenen Stellen von Personalvermittlungsagenturen ausgeschrieben wird als direkt von Arbeitgebern. In Deutschland verhält es sich umgekehrt.

AHA24x7.com: Wie wird sich die Personalbeschaffung in beiden Ländern langfristig entwickeln? Können Sie eine Prognose abgeben?

Tim Hartendorp: Wir sehen sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden, dass der Arbeitsmarkt weiterhin sehr angespannt ist. Fast jedes Unternehmen ist auf der Suche nach Personal – das dürfte sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern. Das führt dazu, dass die Unternehmen kreativer werden. Wir beobachten beispielsweise, dass immer mehr Unternehmen auch über die Grenzen hinaus blicken. Derzeit gilt das hauptsächlich für Firmen, die in den Grenzregionen tätig sind. Ich persönlich erwarte jedoch, dass sich der Trend immer weiter ins Landesinnere verlagern wird.

Die interessanteste Entwicklung ist im Moment die Rekrutierung von Mitarbeitern nach deren Kompetenzen. Sie findet derzeit vor allem in den Niederlanden statt. Ich gehe aber davon aus, dass sie für weitere Länder interessant werden wird. Derzeit erfolgt die Einstellung von Mitarbeitern – auch in Deutschland – hauptsächlich auf der Grundlage eines Lebenslaufs mit Ausbildung und Berufserfahrung. Bereits in der Stellenausschreibung wird meistens explizit danach gefragt. Z.B. mehrere Jahre Berufserfahrung als Marketingmitarbeiter oder eine technische Ausbildung auf Bachelor-Niveau. Potentielle Bewerber können diese Anforderungen aufgrund des angespannten Arbeitsmarkts immer seltener erfüllen, sodass die Stelle nicht besetzt werden kann. Wir sehen die Zukunft darin, Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf der Grundlage von Fähigkeiten zusammenzubringen.

AHA24x7.com: Wie stellt Jobdigger sich darauf ein?

Tim Hartendorp: In den letzten Jahren haben wir eine Methode entwickelt, um Fähigkeiten aus Stellenanzeigen herauszufiltern. Zurzeit nutzen wir sie in den Niederlanden und Belgien, auch in Deutschland soll sie eingeführt werden. Wir sind dabei, diese Systematik länderübergreifend zu entwickeln. Das bedeutet, dass wir ähnliche Fähigkeiten aus Stellenanzeigen in verschiedenen Ländern zusammenführen können. Wir führen derzeit ein Pilotprojekt durch, um diese Methode in der „realen“ Welt für die Personalvermittlung einzusetzen, von der wir uns viel versprechen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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