Am 10. Juni kommt es in Deutschland und in den Niederlanden zu einer partiellen Sonnenfinsternis. Durch die teilweise Bedeckung der Sonne wird weniger Solarstrom erzeugt. Damit das Stromnetz trotzdem stabil bleibt, bereitet sich der deutsch-niederländische Stromnetzbetreiber TenneT zusammen mit verschiedenen Partnern auf das Naturereignis vor. Was genau das bedeutet, erklären die TenneT-Experten Hubert Audorff und Freddy van Halm, beide tätig im Systembetrieb in Deutschland und den Niederlanden.
Was passiert am 10. Juni?
Freddy van Halm: Am 10. Juni schiebt sich zwischen 11.20 und 13.40 Uhr der Neumond zwischen Erde und Sonne, wodurch er einen Teil der Sonne verdeckt: Es kommt in Deutschland und den Niederlanden zu einer partiellen Sonnenfinsternis. In Teilen Kanadas, Grönlands, Russlands und über dem Nordpol wird eine ringförmige Sonnenfinsternis zu beobachten sein. Je weiter südlich man sich befindet, desto kleiner wird der Anteil der Sonne, der vom Mond bedeckt ist. So kommt es in unserer niederländischen Unternehmenszentrale in Arnheim zu einer Bedeckung von ca. 17 Prozent, in der Region Hannover, wo unser norddeutsche Schaltleitung ist, sind es 15 Prozent, in unserer deutschen Unternehmenszentrale in Bayreuth neun Prozent und in der Nähe unserer süddeutschen Schaltleitung bei München sieben Prozent. Mit einer Spezialbrille lässt sich von überall in Deutschland und in den Niederlanden ein kleiner Schatten über der Sonne beobachten.
Welchen Einfluss hat die Sonnenfinsternis auf die Stromerzeugung?
Hubert Audorff: Durch die Sonnenfinsternis reduziert sich die Sonneneinstrahlung, wodurch die Erzeugung von Solarstrom verringert wird. Wir rechnen damit, dass während der Sonnenfinsternis in Deutschland bis zu 4 GW und in den Niederlanden 0,8 GW weniger PV-Strom erzeugt werden, während der Stromverbrauch konstant bleibt. Um das Netz stabil zu halten, muss Strom aus anderen Quellen die niedrigere PV-Einspeisung ausgleichen. Bei der letzten Sonnenfinsternis 2015 war der verdeckte Anteil der Sonne und dadurch auch der Effekt auf die PV-Erzeugung in Deutschland größer: Es wurden ca. 17 Prozent weniger Solarstrom erzeugt. 2021 ist der Einfluss schwächer, obwohl es in den letzten 6 Jahren einen Zubau bei den PV Anlagen von etwa 40 GW (2015) auf 51 GW (2021) gab. In den Niederlanden gab es 2015 nur PV-Anlagen mit einer Leistung von etwa 1 GW, aber einen erheblichen Zubau auf jetzt etwa 11 GW. Daher war die Reduktion der PV-Erzeugung aufgrund der Sonnenfinsternis 2015 um etwa den Faktor 2 geringer als in diesem Jahr.
Ist die Versorgungssicherheit durch die Sonnenfinsternis in Gefahr?
Hubert Audorff: Solange alle relevanten Marktparteien, zum Beispiel Stromhändler und Direktvermarkter, Bescheid wissen und die Sonnenfinsternis in ihren Prognosen und Prozessen berücksichtigen, besteht keine Gefahr. Solarstrom wird größtenteils auf dem Strommarkt verkauft, noch bevor der Strom produziert wird. Es gibt Prognosen, wie viel Solarstrom zu einem bestimmten Zeitpunkt erzeugt wird. Solche Vorhersagen bestimmen, wie viel Strom auf dem Markt angeboten und verkauft wird. Normalerweise hängen die Prognosen hauptsächlich vom Wetter ab. Doch auch die Sonnenfinsternis muss einbezogen werden.
Was ist dabei die Herausforderung?
Freddy van Halm: Da Sonnenfinsternisse nur sehr selten vorkommen, wird das anstehende Naturphänomen möglicherweise nicht überall korrekt berücksichtigt. In diesem Fall könnte es zu Abweichungen zwischen der Prognose und dem tatsächlich produzierten Strom kommen. Um dem entgegenzuwirken, informieren wir zusammen mit unseren Partnern, zum Beispiel allen anderen deutschen Übertragungsnetzbetreibern, gemeinsam proaktiv über die anstehende Sonnenfinsternis und ihre Auswirkungen. Die frühzeitige Kommunikation mit den Marktteilnehmern ist die wichtigste Vorbereitung.
Und was, wenn die Sonnenfinsternis trotzdem nicht überall berücksichtigt wird?
Hubert Audorff: Stromverbrauch und -erzeugung müssen immer im Gleichgewicht sein, um die normale Frequenz im Stromnetz bei 50 Hertz zu halten. Um zu verhindern, dass bei Frequenzabsenkung oder -anstieg das Netz zusammenbricht, setzen Übertragungsnetzbetreiber Regelenergie ein, um solche Schwankungen auszugleichen. Dies geschieht, indem Strom zugeführt oder aus dem Netz genommen wird. Am Tag der Sonnenfinsternis beschaffen die Übertragungsnetzbetreiber zusätzliche Regelenergie, um vorbereitet zu sein. Außerdem verstärken wir am Tag der Sonnenfinsternis die Besetzung der Schichten in den Schaltleitungen. Wir sind gewappnet.
Wann kommt es zur nächsten größeren Sonnenfinsternis?
Freddy van Halm: Am 25. Oktober 2022 lässt sich eine weitere partielle Sonnenfinsternis beobachten. Diese wird im Hinblick auf die Auswirkungen und den Vorbereitungsaufwand ähnlich sein wie die Sonnenfinsternis 2015. Am 29. März 2025 erwarten wir eine Sonnenfinsternis mit größerer Abdunkelung und schwerwiegenderen Auswirkungen. Das liegt auch daran, dass der Zubau an PV-Anlagen 2025 noch größer sein wird als heute. Umso wichtiger ist es, dass wir durch die kleine Sonnenfinsternis am 10. Juni Erfahrungen sammeln, um uns auf die folgenden größeren Sonnenfinsternisse vorzubereiten.