Die Digitalisierung macht auch vor dem Schul-Alltag nicht halt. Welche Auswirkungen die fortschreitende Digitalisierung auf den Unterricht hat, wurde jetzt beim 29. niederländisch-deutschen Studientag der Ems Dollart Region (EDR) erörtert. Rund 100 Lehrer und Pädagogen waren zu der Veranstaltung in das Gymnasium Papenburg gekommen. Das Thema des Tages lautete „Unterricht heute – neue Medien, neue Themen, neue Texte“.
Professor Dr. Jan Standke vom Institut für Germanistik der Technischen Universität Braunschweig betitelte seinen Vortrag über „das literarische Lernen und Materialität der Literatur im digitalen Zeitalter“ mit der Frage „Wischen oder Blättern?“
Eine Antwort darauf ließ Standke bewusst offen. Doch der Professor machte deutlich, dass das gedruckte Buch für den Unterricht noch längst kein Auslaufmodell ist. Denn laut Erkenntnissen, die in der so genannten „Stavanger-Erklärung“ festgehalten sind, sorge das Lesen gedruckter Texte dafür, dass komplexe Zusammenhänge vom Leser besser verstanden werden. „Konzentration, der Aufbau eines Wortschatzes und das Gedächtnis werden dabei laut diesen Untersuchungen mehr trainiert“, so Standke. Das gelte insbesondere, wenn man unter Zeitdruck lese. Der Germanist verteufelte die Digitalisierung aber keineswegs. Schließlich könne durch die Technologien der Anreiz geschaffen werden, neue Dinge zu lernen. In einer Studie gaben 82 Prozent der 14- bis 19-Jährigen an, dass Sie mehr Lust am Lernen haben, wenn digitale Medien eingebracht werden.
Goethe auf Twitter
So könnten digitale Medien während des Unterrichts im Zusammenspiel mit traditioneller Literatur genutzt werden. Denkbar sei es zum Beispiel, Passagen aus einem Werk von Goethe von Schülern in Twitter-Botschaften „übersetzen“ zu lassen. Selbst Videospiele könnten im Unterricht genutzt werden, wenn es sich um „erzählende Computerspiele“ handelt: „Durch diese narrativen Spiele erhofft man sich einen Transfereffekt zur Stärkung der Lesekompetenz“, so Standke.
Auch, wenn er es nicht offen aussprach: Vornehmlich setzt Standke bei der Vermittlung von Lesekompetenz noch auf Druckwerke – diese sollten dabei aber innovativ sein. „Stärken Sie die Materialität der Buchkultur!“ forderte er die Teilnehmer des EDR-Studientags auf. Zugleich präsentierte er aufwändige „Pop-up-Bücher“, die „eine sinnliche Erfahrungsdimension“ ermöglichen. Aber auch bekannte Titel, die in neuer Form erschienen sind, können Schüler ansprechen. Als Beispiel nannte Standke eine Episode von „Die drei Fragezeichen“. Dieser Fall wurde nicht in herkömmlicher Buchform veröffentlicht, sondern in Form von 24 Kriminalakten. Standkes Vorschlag an die Lehrer: „Also warum nicht mal einen Kriminalfall zur Förderung der Lesekompetenz aufarbeiten?“
Humorvoller Blick auf den Lehrer-Alltag
Im Anschluss warf der niederländische Kabarettist und Autor Johan Goossens einen humorvollen Blick auf den Lehrer-Alltag. Goossens hatte selbst sieben Jahre als Lehrer gearbeitet und dabei offensichtlich viel erlebt. Seine Darbietung sorgte für viel Lacher. Dabei lieferte er teilweise bitterböse Satire. Höhepunkt war ein Lied über einen Schüler, den Goossens nicht leiden konnte. Zitat: „Das ist so ein nerviges Kind. Den fasst nicht mal der Pädophile aus unserem Lehrer-Kollegium an!“
Zuvor hatte der 37-Jährige vermeintliche Alltagssituationen aus dem Lehrerleben geschildert – von einer Schülerin, die eine Waffe mit in die Schule brachte (die fast jeder Lehrer bewusst übersah) bis hin zu wahnwitzigen Krankenmeldungen von Schülern und Schülerinnen. Goossens hat es inzwischen auch in das niederländische Fernsehen geschafft. Dort ist er Teil der beliebten Sendung „Wie is de mol?“. EDR-Studientag-Organisatorin Martina Mauer sagt: „Umso mehr freuen wir uns, dass wir ihn in Papenburg begrüßen durften.“
„Kino im Klassenzimmer“
Der EDR-Studientag wurde im Nachmittagsprogramm traditionell mit zahlreichen Workshops abgerundet, in denen die Teilnehmer auch selbst aktiv wurden.
Julia Plainer von der Universität Duisburg-Essen erläuterte zum Beispiel, wie auch „Poetry Slam“ im Unterricht eine Rolle spielen kann. Dr. Dietha Koster von der Universität Münster erklärte in einem anderen Workshop, wie das Lernen von Fremdsprachen mit Unterstützung von „Kino im Klassenzimmer“ funktioniert. Und Dr. Theo Witte von der Rijksuniversiteit Groningen erörtete, wie die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Interessen und Leseniveaus stimuliert wird. Passender Titel seine Workshops: „Das richtige Buch zur richtigen Zeit.“
Martina Mauer zog ein positives Fazit zur Veranstaltung: „In vielen Gesprächen tauschten sich die Lehrer zum Thema Digitalisierung in der Schule aus. Es zeigte sich, dass es ein Thema ist, dass uns noch länger beschäftigen wird. Wir freuen uns, dass wir unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema bieten konnten.“
Eröffnet worden war der 29. EDR-Studientag mit Begrüßungen von Papenburgs Bürgermeister Jan Peter Bechtluft und EDR-Geschäftsführer Karel Groen.
Ermöglicht wurde die Organisation der Veranstaltung durch die Unterstützung mit Mitteln aus dem INTERREG V A-Programm Deutschland-Nederland, der Taalunie, der Niedersächsischen Staatskanzlei sowie von den Provinzen Drenthe, Fryslân und Groningen.